Der blinde Passagier
mich kann ein Güterzug wegfahren, wenn ich einmal eingeschlafen bin“, sagte Frau Schimmelpfennig. Sie wählte bereits die Nummer 0011. Das war der Alarmruf der Polizei.
„Und ich bin natürlich erblich belastet“, sagte Peter. Und dann meinte er noch: „Ich kann das einfach nicht glauben.“
„Mein Name ist Auguste Schimmelpfennig. Spreche ich mit der Polizei?“
Im Telefon klickte es. Dann summte es. Und wieder ein Klicken.
„Nein, kein Überfall“, antwortete Frau Schimmelpfennig einer Stimme im Telefonhörer. „Ein Diebstahl, ja, ein Diebstahl in einer Wohnung. Bitte sehr, dann warte ich.“ Frau Schimmelpfennig holte tief Luft und sagte plötzlich: „Ich kann überhaupt keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen.“
„Hier Dezernat B 5“, meldete sich jetzt wieder die Stimme im Telefon. Sie wünschte ein „schönes Fest“ und wollte wissen, worum es ginge.
Frau Schimmelpfennig deutete an, was passiert war.
Die Telefonstimme wollte die Sache mit dem Eisschrank und dem Tiefkühlfach zuerst nicht glauben.
„Weil in Sparkassen und Banken heutzutage ja laufend eingebrochen wird“, verteidigte sich Frau Schimmelpfennig. „Aber das steht ja gar nicht zur Debatte.“
„Wie Sie wollen“, sagte die Telefonstimme höflich. „Und der Täter, das heißt die Person, von der Sie annehmen, daß es der Täter sein könnte, ist flüchtig?“
„Leider“, antwortete Frau Schimmelpfennig.
„Wie ist die Adresse?“ fragte die Stimme sehr sachlich.
„Steinfeldstraße 84 im vierten Stock links.“
„Sie hören von uns“, versicherte die Stimme und empfahl noch, in der „Umgebung des Tatorts“ nichts anzufassen und nichts zu verändern.
„Das ist wegen der Fingerabdrücke“, vermutete Peter.
„Kein Mensch konnte wissen, daß es sich hier um ein Verbrechen handelt“, sagte Frau Schimmelpfennig.
„Und dabei war dieser Sang Ping ein so höflicher Mensch“, gab die Großmutter zu bedenken. „Ich kann noch hundert Jahre alt werden und habe nie ausgelernt.“
Aber das alles konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß die drei Schimmelpfennigs doch recht niedergeschlagen waren. Das Telefonat mit der Polizei hatte leider auch nicht den leisesten Funken Hoffnung gebracht. Erst jetzt fiel Peter wieder ein, was er gestern nacht noch durch den Spalt der angelehnten Badezimmertür beobachtet hatte. Er erzählte es.
„Wenn du verstanden hättest, was sie gesprochen haben“, meinte Frau Schimmelpfennig, „vielleicht hätte uns das weitergeholfen.“
„Aber es steckt irgend etwas dahinter“, überlegte Peter. „Ich weiß nur noch nicht, was.“
„Auf jeden Fall sind eintausendachthundert Mark verschwunden“. sagte Frau Schimmelpfennig. „Und der Laden in der Steinstraße ist wieder so weit weg wie der Mond.“ Sie begriff in diesem Augenblick überhaupt erst das ganze Ausmaß des Unglücks. Sie war nahe daran, einfach loszuheulen.
„Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“ Der Großmutter fiel jetzt auch nur noch ein Sprichwort ein.
Die Standuhr sprang gerade auf zwölf Uhr, da klingelte es an der Wohnungstür.
„Heute kommt kein Briefträger“, sagte Frau Schimmelpfennig. „Also können es nur die Herren von der Kriminalpolizei sein.“
Aber es waren nur zwei uniformierte Beamte vom zuständigen Polizeirevier. Sie hatten von der Kälte draußen ganz rote Nasen und rote Ohren.
„Fröhliche Weihnachten!“ wünschten beide und rieben sich erst einmal die Hände warm.
„Ich dachte, es käme jemand von der Kriminalpolizei“, sagte Peter enttäuscht. „Von der Spurensicherung und so.“
„Na, du kennst dich ja aus“, lachte der eine der beiden Uniformierten. Er war schon etwas älter und hatte eine auffallend spitze Nase. „Und wenn nicht gerade Weihnachten wäre, junger Mann, wären die Männer von der Spurensicherung auch bestimmt schon da.“
„Aber auch Kriminalbeamte haben Familie und wollen über die Festtage zu Hause sein“, erklärte jetzt der zweite Beamte. Er war Mitte Zwanzig, und seine Haut war ganz weiß. „Deshalb ist die Kripo über diese Tage nur mit ein paar Beamten besetzt, und die schickt man natürlich nur los. wenn ein Mord passiert ist oder so was.“
„Schade“, sagte die Großmutter, „mit einem Mord können wir leider nicht dienen.“
„Ist ja auch besser so“, meinte der erste Beamte wieder. Er lachte und war der Meinung, daß ihm ein Scherz gelungen sei. „Und was geschieht jetzt also?“ wollte Frau Schimmelpfennig
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