Der blinde Passagier
daß es mir nicht mehr gehört. Es ist mit einem Schlag verschwunden, als ob ich es zum Fenster hinausgeworfen hätte.“ Frau Schimmelpfennig schnüffelte und angelte nach ihrem Taschentuch. „Ich will das Geld, das ich wirklich nicht leicht verdiene, bei mir haben. Ich möchte es ansehen und auch in die Hand nehmen und zählen können, wenn ich Lust dazu habe. Das ist nun einmal so. Und vielleicht ist das wirklich eine Krankheit, wie gesagt.“
Frau Schimmelpfennig ließ wieder ihren Kopf in die Arme fallen, und gleich darauf zuckten ihre Schultern.
„Wein dich aus, bis nichts mehr drin ist“, sagte die Großmutter, „das ist sowieso das Vernünftigste, was du im Augenblick tun kannst.“
Und da niemand Einspruch erhob, setzte sie sich jetzt gleichfalls auf einen Stuhl, verschränkte ihre Arme und sagte nur noch: „Fröhliche Weihnachten.“
Peter Schimmelpfennig geht in die Luft
„Von der Polizei ist vorläufig also nichts zu erwarten“, stellte Peter Schimmelpfennig fest, nachdem sich die beiden Polizisten vom Revier ihre Wollhandschuhe angezogen hatten uni! schließlich wieder abgezogen waren.
„Die Herren von der Kripo machen Weihnachten, und die zwei vom Revier sind vielleicht ganz liebe Menschen, aber einfach zu dämlich.“ Peter stand in seinem Bademantel mitten im Wohnzimmer und zog den Gürtel enger. „Es hilft nichts. Wir müssen die Sache selbst in die Hand nehmen.“
„Bravo!“ rief die Großmutter und klatschte in die Hände. Das hatte sich vor einer halben Stunde zugetragen. Seitdem war Peter für die Damen Schimmelpfennig verschollen. Er hatte sich in das Zimmer eingeschlossen, aus dem der Untermieter Sang Ping in der vergangenen Nacht so kopfüber ausgerissen war.
Zuerst hatte sich Peter umgeschaut wie in einem Museum. Er war, mit den Händen auf dem Rücken, hin und her spaziert wie ein Kriminalkommissar, der an einen Tatort gerufen wird und sich im ersten Augenblick davor hütet, irgendwelche Fingerabdrücke zu hinterlassen.
Aber so nach vier oder fünf Minuten hatte Peter Schimmelpfennig dann doch damit angefangen, das Sang Pingsche Zimmer von oben bis unten umzukrempeln. Er hatte sämtliche Bücher ausgeschüttelt wie Kopfkissen und von der ersten bis zur letzten Seite durchgeblättert. Er hatte in den Jacketts und Hosen, die Herr Sang Ping zurückgelassen hatte, die Taschen umgedreht. Schrank, Tisch und alle Schubladen waren von oben, von unten und von der Seite her abgeklopft worden, und Peter hatte sogar die Fenster geöffnet, um ihre äußere Verkleidung bis zum Mauerwerk zu kontrollieren. Selbstverständlich hatte er auch den Papierkorb durchgesiebt, das Bett auseinandergenommen und den Teppich umgedreht.
Leider hatte er nicht das geringste entdeckt — nichts, was ihn auch nur einen Zentimeter weitergebracht hätte.
Es sei denn, man wäre bereit gewesen, dem Pappkarton, den Peter unter dem Bett aufgestöbert hatte, eine gewisse Bedeutung zuzusprechen. Auf der oberen Seite dieses Kartons klebte noch die Postadresse mit der bisherigen Anschrift von Herrn Sang Ping. Als Absender war die Firma east asia development company in Frankfurt angegeben. Es machte den Eindruck, als seien in dem Pappkarton Bücher verpackt gewesen.
Peter Schimmelpfennig hockte jetzt mit angezogenen Beinen mitten auf dem Fußboden und dachte nach.
Die erste Frage, die sich jeder Kriminalkommissar der Welt nach einem Verbrechen stellt, ist die Frage nach dem Motiv des Täters. Soweit wußte Peter Bescheid. Schließlich hatte er im Kino und auf der Mattscheibe schon genügend solcher Filme gesehen und in den Zeitungen entsprechende Berichte gelesen.
Peter Schimmelpfennig überlegte hin und her.
Ein Motiv war beim besten Willen nicht zu entdecken. Herr Sang Ping hatte nicht am Hungertuch genagt, und die Familie Schimmelpfennig hatte sich ihm gegenüber ausgesucht höflich verhalten. Die zwei üblichen Hauptmotive, Not oder Rache, kamen also nicht in Frage. Die Sache wurde schwieriger.
Gab es irgendwelche Komplizen? Auch auf diese Frage wußte Peter im Augenblick keine Antwort. Daß die späten Besucher von gestern abend mit der Sache irgend etwas zu tun hatten, war möglich, aber keinesfalls sicher.
Peter Schimmelpfennig stand auf, nahm wieder seine Arme auf den Rücken und ging auf dem Teppich hin und her.
Damit stellte sich die Frage Nummer drei:
Wo mochte sich Herr Sang Ping wohl im Augenblick aufhalten? Wohin war er getürmt?
Wenn man das nicht so schnell wie möglich herausbekam, wäre
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