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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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Geschäft nicht loben. Er ist der König, weil er das Boot hat, und begreift nicht, wie wichtig R.s Intelligenz ist, um sein dämliches Boot profitabel arbeiten zu lassen.
    Ich unterhalte mich mit A. über den Unterschied zwischen Bauern und Fischern: Fischer sind angesichts der See immer demütig. Die Macht des Meeres schweißt sie zusammen. Sie helfen einander aus. Bauern hingegen haben ihr eigenes Land, und das macht sie kleingeistig und raffgierig. Statt demütig zu sein, sind sie argwöhnisch und verschwiegen, weil alles, was sie sagen, ihrem Nachbarn einen Vorteil verschaffen könnte. Ihr Wesen ist es, ihren Besitz zu schützen und auszudehnen. Wenn ein Bauer seinen Nachbarn stolpern und stürzen sieht, erkennt er darin nur die Möglichkeiten, sich einen Vorteil zu verschaffen. A. beendet seine Ausführungen mit der Feststellung: »Ich bin ein Fischer, und dein Freund R. ist ein Bauer.«
    R. macht mich verrückt mit seinen endlosen Träumereien von einem eigenen Boot.

    1. März 1944
    Wir haben unsere Fracht bei den Korsen gelöscht und sind leer in Neapel eingelaufen, wo R. einen Italiener finden will, mit dem wir Geschäfte machen können. Von den Korsen hat er erfahren, dass man dafür eine Erlaubnis braucht. A. weigert sich, an Land zu gehen, und mir wird klar, wie sehr ihn der Zwischenfall mit den Italienern erschüttert hat.

    12. März 1944
    R. war fest entschlossen, A. zu zeigen, wie viel Geld man mit einem gut organisierten Geschäft in Italien machen kann. Unser Boot ist randvoll mit Lucky Strikes. Zwischen all den Kartons und Kisten und sogar losen Packungen haben wir kaum Platz zum Schlafen. A. ist nervös. Sein ganzes Geld steckt in dieser einen Tour. Am Abend schippern wir verstohlen in den Golf von Neapel hinaus und warten auf der kühlen schwarzen See. R. kommt zu mir in die Kabine, wo ich mit der Maschinenpistole im Arm sitze. Er sagt mir, ich solle mich bereit halten und beim ersten Anzeichen von Ärger nicht lange fragen, sondern alle töten. »Aber ich dachte, wir hätten eine Erlaubnis«, sage ich. »Manchmal muss man sich erst beweisen, bevor man diese Erlaubnis bekommt. Bei diesen Leuten ist nichts sicher.« Ich frage ihn, warum er A. das nicht gesagt hat, und er meint: »Jeder Mensch muss für sich selbst denken. Wenn man es anderen überlässt, geht man ein Risiko ein.«
    Ich stelle sicher, dass die vier Magazine voll sind, und halte ein weiteres in Reserve. Das Wasser platscht gegen den Rumpf des Bootes. Nach einigen Minuten hören wir das Blubbern eines näher kommenden Motors. Ich lösche meine Zigarette und gehe hoch ins Steuerhaus, wo ich mich unter die zersprungenen Scheiben ducke. Ich spüre eine Veränderung in R. doch das Boot hat uns erreicht, bevor ich mir darüber Gedanken machen kann. Als das Boot längsseits anlegt, geht ein Licht an, die Fender aus alten Reifen quietschen, als die beiden Schiffe sich berühren. Ich höre den Singsang einer italienischen Stimme, sie klingt unbedrohlich, und ich schiele über das Fenstersims. A. und R. stehen drei Meter von mir entfernt an der Reling. Der Italiener versteht Spanisch. Zwei Männer klettern über die Reling und gehen zur dunklen Rückseite des Steuerhauses. Ich weiß, dass irgendetwas nicht stimmt. Ist dies das erste Anzeichen von Ärger? Irgendjemand ruft etwas, und ich überlege nicht lange, sondern feuere eine kurze Salve durch die Wand des Steuerhauses. Dann renne ich hinaus und springe über die Reling an Bord des italienischen Schiffs. Auf unserem Boot ist niemand an Deck zu sehen, auch A. und R. sind verschwunden. Ich laufe achtern um das italienische Schiff, als plötzlich der Motor aufheult. Ich feuere eine weitere kurze Salve in das Steuerhaus und töte zwei Männer. Dann fahre ich die Maschine herunter, und das Boot treibt im Leerlauf ab. Auf der Suche nach weiteren Italienern spitze ich die Ohren, kontrolliere das Deck und steige nach unten. Die Kabine ist leer, und die Tür zum Frachtraum führt in nach Diesel stinkende Dunkelheit. In der Kabine finde ich eine Taschenlampe. Mit dem Rücken zum Schanzwerk halte ich die Taschenlampe in den Raum. Niemand schießt. In einer Ecke hockt zusammengekauert ein Junge. Er kann nicht älter sein als 17 und trägt nur ein kleines Messer bei sich. Er zittert vor Angst. Ich zerre ihn an Deck. In der gekräuselten Dunkelheit ist immer noch der weiße Rumpf von A.s Boot auszumachen. Im Steuerhaus geht das Licht an, und der Motor wird angelassen. R. steht am Steuer, von A. keine

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