Der Blinde von Sevilla
und über die Straße von Gibraltar schiffen, um es mit immensem Gewinn zu verkaufen. All das hört sich ganz prima an, nur dass er kein Geld hat, um die Waren zu kaufen, und kein Schiff, um sie zu transportieren. Etwas, das er als unwesentliche Nebensächlichkeit abtut. »Am Anfang arbeitet man für andere«, sagt er. »Man sieht sich an, wie das Geschäft funktioniert, und dann sucht man sich einen Platz.«
Dann fügt er noch etwas hinzu: »Wo Geld ist, ist auch Gefahr«, und er fixiert mich mit seinen jungen, unerfahrenen Augen, »und Gefahr bedeutet zusätzliche Prämien.«
Warum er das wohl ausgerechnet mir erklärt?
R. hat in Madrid für eine Baufirma gearbeitet, bis der Besitzer Pleite gemacht hat. Danach hat er sich in ein Schuhputzer-Syndikat eingekauft. Nur reiche Leute lassen sich die Schuhe putzen. Ihm wurde klar, dass reiche Leute nur reich sind, weil sie mehr wissen als andere. Er hat ihnen und ihren Gesprächen über Tanger gelauscht, wo die Verwaltung sowohl spanisch als auch korrupt ist und beides wohl auch für absehbare Zeit bleiben wird. R. hat sich alles ganz genau überlegt. Ich muss ihn daran erinnern, dass ich kein Geld brauche. Er widerspricht heftig und erklärt mir, wie wenig selbst berühmte Maler mit ihren Werken verdienen. Am Ende des Abends sind wir ziemlich betrunken, und er fragt, ob er auf meinem Fußboden schlafen kann. Er ist fröhlich und lebhaft, sodass ich unter der Bedingung einwillige, dass er geht, bevor ich anfange zu arbeiten.
21. Dezember 1943
Ich bin ausgeraubt worden. Als ich mit R. aus der Bodega Salinas in mein Zimmer zurückkehrte, sahen wir, dass jemand über den Hof eingedrungen und alles bis auf meine Skizzenblöcke, Zeichnungen und Gemälde gestohlen hatte. Meine Kleidung, meine Farben und sogar die Heilige Jungfrau über dem Bett sind verschwunden. Letzteres ist der schlimmste Verlust, weil ich in der Rückseite mein ganzes Geld versteckt hatte, sodass mir nur bleibt, was ich in der Tasche habe. Ich erkläre der Vermieterin, was passiert ist. Wütend mache ich eine Andeutung über die einzige andere Benutzerin des Patio. Sie geht auf mich los, und wir sorgen zu zweit dafür, dass unsere Beziehung anschließend nicht mehr zu kitten ist. Später entdecken R. und ich einige zerbrochene Blumentöpfe im Hof, und er weist auf eine Stelle, wo jemand über die Mauer geklettert sein und die in die Wand eingelassenen Blumentöpfe als Sprossen benutzt haben muss.
22. Dezember 1943
Unversöhnlich ist die fette maurische Hexe mit ihrem geprügelten Hund von einem Ehemann sowie einigen anderen hier wohnhaften Banditen aufgetaucht, um uns hinauszuwerfen. Es juckt mich in den Fingern, sie in Stücke zu zerreißen, aber die Aussicht auf die Guardia Civil und den Knast halten mich davon ab. Also gehen R. und ich. Er hat mich ununterbrochen bearbeitet, und nun haben wir uns auf den Fußweg nach Algeciras gemacht.
27. Dezember 1943
Ich dachte, einige der Russen, die ich gesehen habe, wären total verarmte und primitive Menschen, aber die Dörfer, durch die wir gekommen sind, haben mir gezeigt, dass dieser Teil Spaniens im finsteren Mittelalter gefangen ist, mit Hoffnungslosigkeit und Wahnsinn als ständigen Begleitern. Menschen, die den Mond anheulen, sind kein ungewöhnlicher Anblick. Auf der Suche nach etwas zu Essen hat R. in einem Dorf einen Jungen gesehen, der mit einem Metallhalsband an eine Wand gekettet war. Seine Augen bestanden nur aus Pupillen, und als R. hineinblickte, sah er nichts, was darauf hindeutete, dass in diesem Körper irgendetwas Menschliches lebte.
5. Januar 1944, Algeciras
Wir sind halb verhungert und zerlumpt hier angekommen, nachdem wir von wilden Hunden angegriffen worden waren, die noch hungriger waren als wir. Drei von ihnen habe ich mit bloßen Händen getötet, bevor das Rudel uns blutend und zerfetzt zurückließ. R. der mich sowieso schon respektvoll behandelt hat, betrachtet mich nun beinahe mit Ehrfurcht. Der Junge hat eine Gerissenheit an sich, die mir unbehaglich ist.
7. Januar 1944, Algeciras
In diesem Zustand ist Spanien kein Land zum Leben. Afrika ist so nahe, sichtbar auf der anderen Seite der Meerenge. Ich kann es riechen und stelle überrascht fest, wie sehr ich dorthin zurückwill.
R. kommt mit der Nachricht, dass er einen contrabandista gefunden hat, der uns zwei Monate Arbeit, Nahrung und Unterkunft anbietet und uns anschließend mit jeweils zehn Dollar in Tanger an Land setzen will. Wenn es klappt, können wir die
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