Der blonde Vampir
völlig vergessen zu haben, die von Krishnas göttlicher Herkunft erzählten. Als ich ihn darauf ansprach, antwortete er nicht. Seine Augen glänzten, und er sagte, daß er allein für diesen Augenblick geboren worden sei. Ich selbst fürchtete mich vor einem Hinterhalt. Krishna stand in dem Ruf, sehr listig zu sein. Doch Yaksha wischte meine Bedenken mit einer Handbewegung beiseite. Er würde Kishna zerstören, sagte er, und Radha dann zu einer Vampirin machen. Sie sollte von nun an seine Gemahlin sein. Ich war nicht eifersüchtig, als ich das hörte. Irgendwie glaubte ich nicht daran, daß alles so kommen würde.
Schließlich fanden wir den Weg zurück zu der Stelle, an der wir in den Wald hineingegangen waren. Wir erkannten den Ort sofort, denn hier befand sich eine große Grube im Waldboden. Offensichtlich brauchte Krishna diese Grube für seinen Kampf gegen Yaksha. Seine Leute hatten sich schon darum versammelt, als wir aus dem Unterholz traten. Aber sie versuchten nicht, uns anzugreifen, obwohl wir nicht mehr waren als sie. Ich sah Arjuna neben seinen Brüdern stehen, den mächtigen Bogen in den Händen haltend. Als er in meine Richtung blickte und erkannte, daß offenbar ich es war, die auf Radha achtgab, runzelte er die Stirn, zog einen Pfeil aus dem Köcher und rieb ihn an seiner breiten Brust. Nicht mehr. Wahrscheinlich wartete er auf seinen Herrn. Wir alle warteten auf ihn. Obwohl ich zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal siebzig Jahre alt war, hatte ich das Gefühl, seit dem Anbeginn der Schöpfung auf dieses Wesen zu warten. Ich, die ich jetzt sein Teuerstes bewachte.
Krishna kam aus dem Wald.
Seine Haut war nicht blau, so wie sie später auf Zeichnungen dargestellt wurde. Die Künstler stellten ihn so dar, denn Blau symbolisierte den Himmel, die Unendlichkeit – und das, von dem man glaubte, daß Krishna es war: den ewigen und unendlichen Brahman, über dem es nichts Größeres gab. Er war ein Mann wie alle anderen, mit zwei Armen und zwei Beinen, einem Kopf auf den Schultern und einer Haut, welche die Farbe von milchigem Tee hatte, und die nicht so dunkel war wie die der meisten Menschen in Indien, aber auch nicht so hell wie meine. Und doch war er anders als alle anderen. Ein einziger Blick auf ihn ließ mich erkennen, daß er besonders war in einer Weise, die ich niemals wirklich würde verstehen können. Er trat zwischen den Bäumen hervor, und alle Blicke folgten ihm.
Er war hochgewachsen, fast so hochgewachsen wie Yaksha, was ungewöhnlich war für diese Zeit, in der die Menschen selten größer wurden als sechs Fuß. Sein schwarzes Haar trug er lang – einer seiner unzähligen Namen war Keshava, was soviel bedeutet wie Herr der Sinne oder der Langhaarige. In der rechten Hand hielt er eine Lotusblüte, in der linken die sagenhafte Flöte. Seine Muskeln waren stark, seine Beine lang, jede seiner Bewegungen wirkte hinreißend. Er schien keinen einzelnen direkt anzusehen, sondern warf uns nur hin und wieder kurze Blicke zu. Doch diese genügten, um die Menge unruhig werden zu lassen, und das auf beiden Seiten. Obwohl ich mir redliche Mühe gab, war es unmöglich, ihn nicht anzustarren. Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß er mich in diesen Augenblicken mit einem Zauber belegte, den ich nie wieder loswerden sollte. Doch als ich spürte, wie jemand mich im Gesicht berührte, gelang es mir, mich einen Moment zur Seite zu wenden. Es war Radha, die eigentlich meine Feindin sein sollte – und die mich jetzt mit ihrer Berührung tröstete.
»Krishna bedeutet Liebe«, sagte sie. »Doch Radha bedeutet Verlangen. Das Verlangen ist älter als die Liebe. Ich bin älter als er. Wußtest du das, Sita?«
Ich sah sie an. »Woher weißt du meinen Namen?«
»Er hat ihn mir gesagt.«
»Wann?«
»Einst.«
»Was hat er dir sonst noch über mich gesagt?«
Ihre Miene verdüsterte sich. »Nichts, was du wissen möchtest.«
Krishna trat zum Rand der Grube und bedeutete seinen Leuten, sich bis zu den Bäumen zurückzuziehen. Nur Arjuna blieb an seiner Seite. Er nickte Yaksha zu, der unseren Leuten ebenfalls gebot, zurückzuweichen. Doch ich sollte nah bei der Grube bleiben – mit meinen Händen an Radhas Hals. Krishna schien davon nicht beunruhigt zu sein. Er trat auf Yaksha zu und stand jetzt nicht weit von mir entfernt. Krishna sah weder Radha noch mich direkt an. Doch er war nah genug, daß ich ihn verstehen konnte. Seine Stimme war hypnotisierend. Wichtig war weniger der Klang seiner Worte als das, was in ihr
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