Der blonde Vampir
»Man braucht die Nacht, um einen Vampir zu erschaffen. Ich bin sicher, daß du dich daran erinnerst. Wenn die Sonne wieder aufgeht, werde ich zurückkommen – zu dir und zu ihm, zu euch beiden. Bis dann solltest du deine Arbeit getan haben. Und dann gehörst du mir.«
Meine Stimme klingt verächtlich. »Du bist ein Narr, Yaksha. Im Laufe all der Jahre war ich oft versucht, ein weiteres Geschöpf unserer Art zu erschaffen, doch ich habe der Versuchung stets widerstanden. Ich werde es auch diesmal tun – und Krishna wird mich weiterhin schützen. Sieh den Tatsachen ins Auge: Du hast verloren! Stirb und fahr in die dunkle Hölle zurück, aus der du gekommen bist!«
Yaksha runzelt die Stirn. »Du weißt, daß ich kein Narr bin, Sita. Hör mir zu!«
Er sieht zum Haus hinüber, wo Ray noch immer steht, und hebt dann die Flöte an seine Lippen. Er spielt eine einzelne hohe Note. Ich zittere vor Schmerzen, als der Klang durch meinen ganzen Körper fährt. Gleichzeitig höre ich, wie hinter uns Glas zerbricht. Nein, nicht irgendwelches Glas. Das Fenster, an das Ray sich gelehnt hatte. Ich drehe mich gerade rechtzeitig um, um zu sehen, wie er kopfüber durch die Öffnung stürzt – und sechzig Fuß tiefer auf der betonierten Einfahrt landet. Yaksha ergreift meinen Arm, als ich Ray zu Hilfe eilen will.
»Ich wünsche wirklich, es wäre anders gekommen«, sagt er.
Ich schüttele seine Hand ab. »Ich habe dich niemals geliebt. Vielleicht wirst du in Gnade sterben, aber meine Liebe wirst du niemals haben.«
Er schließt kurz die Augen. »So sei es denn«, sagt er.
Ich finde Ray in einer Lache von Blut und Glasscherben. Sein Schädel ist zerschmettert, sein Rückgrat gebrochen. Unglaublich, aber er ist immer noch bei Bewußtsein, obwohl er nicht mehr lange leben wird. Ich drehe ihn auf den Rücken, und er spricht zu mir, während Blut aus seinem Mund fließt.
»Ich bin gestürzt«, sagt er.
Meine Tränen sind so kalt wie die Gischt auf meinen Wangen. Ich lege die Hand auf seine Brust. »Ich wollte nicht, daß es so kommt.«
»Wird er dich gehen lassen?«
»Ich weiß es nicht, Ray, ich weiß es nicht.« Ich lehne mich vor, nehme ihn in die Arme und höre das Blut in seinen Lungen rauschen, das dem Atem den Weg versperrt. Es klingt genauso wie die letzten Atemzüge seines Vaters. Ich erinnere mich daran, daß ich dem Mann gesagt habe, ich könne nicht heilen, nur töten. Es war nicht die ganze Wahrheit, das begreife ich jetzt allzu deutlich – jetzt, als ich Yakshas Plan erkenne, mit dem er mich zerstören will. Einst mißbrauchte er meine Angst, um mich zu einem Vampir zu machen. Nun benutzt er meine Liebe, um mich zu zwingen, ebenfalls einen Vampir zu erschaffen. Es stimmt, er ist kein Narr. Ich kann es nicht ertragen, zu sehen, wie Ray stirbt – und gleichzeitig zu wissen, daß es in meiner Macht läge, seine schrecklichen Verletzungen zu heilen.
»Ich wollte dich retten«, flüstert er. Er versucht, die Hand zu heben, um mich zu berühren, aber sie fällt kraftlos zurück. Ich setze mich auf, sehe ihm in die Augen und versuche, Liebe in meinen Blick zu legen, damit Ray sich jetzt nicht, wie die anderen Sterblichen vor ihm in dieser Situation, vor mir fürchtet.
»Ich will dich retten«, sage ich. »Willst du ebenfalls, daß ich es tue?«
»Kannst du es denn?«
»Ja. Ich kann dir etwas von meinem Blut abgeben.«
Er lächelt. »Und dann werde ich ein Vampir, wie du einer bist?«
Ich nicke und lächle trotz meiner Tränen. »Ja. Du könntest werden wie ich.«
»Würde ich Menschen verletzen müssen?«
»Nein. Nicht alle Vampire tun den Menschen etwas an.« Ich berühre seine blutige Wange – und erinnere mich an Yakshas Worte, daß er in der Dämmerung kommen würde, um uns beide endgültig zu holen. »Es gibt Vampire, die auch lieben können.«
»Ich liebe…« Langsam schließt er die Augen. Er hat keine Kraft mehr, den Satz zu beenden.
Ich lehne mich über ihn und küsse ihn auf den Mund. Ich schmecke sein Blut.
Doch das reicht nicht, um ihn zu retten. Ich muß mehr tun.
»Du selbst bist Liebe«, sage ich, während ich unserer beider Venen öffne.
11.
KAPITEL
Rays Schlaf ist tief und erholsam. Ich habe ihn zurück ins Haus gebracht und ihn vor den Kamin gelegt, in dem ein Feuer brennt, das ihn wärmt. Dann habe ich sein Blut weggewischt. Kurz nach der Blutübertragung ging sein Atem plötzlich schneller – und hörte dann abrupt auf. Aber ich hatte keine Angst, denn mir selbst, Mataji und vielen anderen ist es genauso
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