Der blonde Vampir
weiß es nicht. Und doch betrachte ich ihn genauer. So viele Jahre lassen keinen unverändert, jeder lernt dazu, denke ich. Er kann heute nicht mehr das Ungeheuer sein, das er einst war. Er lächelt, als er meine Gedanken liest.
»Die Form verändert sich, das Wesentliche bleibt«, erklärt er. »Das hat mir Krishna über die Natur gesagt. Aber für uns ändert sich noch nicht einmal die Form.«
»Weil wir widernatürlich sind.«
»Ja. Die Natur verabscheut den Eindringling. Wir sind nicht willkommen in dieser Welt.«
»Aber es scheint dir gutzugehen.«
»Der Anblick täuscht. Ich bin müde. Ich möchte sterben.«
»Das möchte ich nicht«, sage ich.
»Ich weiß.«
»Du hast es herausgefunden, als du mir Slim und seine Leute auf den Hals gehetzt hast. Du wolltest sehen, wie hart ich kämpfe.«
»Ja.«
»Und ich habe den Test bestanden. Ich will nicht sterben. Geh – und tu, was du tun mußt. Es geht mich nichts an.«
Yaksha schüttelt traurig den Kopf, und ich erkenne die Veränderung in ihm. Seine Trauer. Sie macht ihn weicher, läßt seine Augen weniger kalt wirken. Doch die Trauer ängstigt mich mehr als seine einstige Boshaftigkeit. Yaksha war stets zu lebendig, um eines Tages zu den Untoten zu gehören.
»Ich würde dich gehen lassen, wenn ich könnte«, sagte er. »Aber ich kann nicht.«
»Wegen des Gelübdes, das du Krishna abgelegt hast?«
»Ja.«
»Wie genau waren seine Worte?«
»Er sagte mir, daß ich seine Gnade erlangen könne, wenn ich das Böse zerstöre, das ich einst geschaffen habe.«
»So etwas habe ich mir gedacht. Warum hast du mich bisher nicht zerstört?«
»Mir blieb Zeit genug, zumindest dachte ich das. Er hat mir nicht gesagt, wann ich mit meiner Arbeit fertig sein muß.«
»Du hast die anderen schon vor Jahrhunderten getötet.«
Er schaut mich an. »Du bist schön.«
»Vielen Dank.«
»Ich habe mein Herz an dem Gedanken gewärmt, daß deine Schönheit noch irgendwo auf dieser Welt existiert.« Er zögert. »Warum stellst du mir all diese Fragen? Du weißt, daß ich dich nicht getötet habe, weil ich dich liebe.«
»Liebst du mich noch immer?«
»Natürlich.«
»Dann laß mich gehen!«
»Ich kann nicht. Es tut mir leid, Sita, wirklich.«
»Ist es von so unglaublich großer Bedeutung für dich, in seiner Gnade zu sterben?«
Yaksha sieht mich ernst an. »Es ist der Grund, warum ich in diese Welt kam. Der Priester hat mich nicht gerufen, ich kam aus eigenem Willen. Denn ich wußte, daß Krishna hier war. Ich kam, um den Ort zu verlassen, an dem ich damals war. Ich kam, um bei meinem Tod seine Gnade zu erleben.«
»Aber du hast versucht, Krishna zu töten.«
Yaksha zuckt mit den Schultern, als sei dies nicht von Bedeutung. »Die Narrheit der Jugend.«
»War er Gott? Bist du sicher? Kann es überhaupt Sicherheit geben?«
Yaksha schüttelt den Kopf. »Sogar das ist unwichtig. Was ist Gott? Nicht mehr als ein Wort. Was auch immer Krishna war, wir beide wissen, daß man ihm gegenüber nicht ungehorsam sein konnte. So einfach ist das.«
Ich deute auf die Wellen. »Dann sind die Grenzen klar. Das Meer endet an der Küste. Das Unendliche sagt dem Endlichen, wozu es auf dieser Welt ist. Ich akzeptiere das. Aber du hast ein Problem, Yaksha: Du weißt nicht, was Krishna zu mir gesagt hat.«
»Doch, das weiß ich. Ich habe dich lange beobachtet. Die Wahrheit ist offensichtlich. Er hat gesagt, wenn du keine weiteren deiner Art erschaffen würdest, wolle er dich beschützen.«
»Ja. Und es ist alles so widersprüchlich. Wenn du versuchst, mich zu zerstören, widersetzt du dich seinem Wort. Wenn du es nicht versuchst, bist du verdammt.«
Meine Worte beeindrucken Yaksha nicht. Er ist mir einen Schritt voraus; das war er stets. Mit der Flöte weist er zum Haus. Dort steht Ray noch immer am Fenster und blickt auf uns.
»Ich habe dich in den letzten drei Tagen aus der Nähe beobachtet«, sagt er. »Du liebst diesen Jungen. Du willst nicht, daß er stirbt.«
Die Angst überfällt mich bei seinen Worten wie ein Ungeheuer. Doch meine folgenden Worte klingen schroff: »Wenn du versuchst, mich auf diese Weise dazu zu zwingen, mich selbst zu zerstören, wirst du Krishnas Gnade verlieren. Es wird nicht anders sein, als wenn du mich mit eigenen Händen erschlagen hättest.«
Yaksha ist nicht wütend über das, was ich sage. Statt dessen wirkt er nur müde. »Du mißverstehst mich. Ich werde dir nichts antun, solange du in seiner Gnade stehst. Und ich werde dich zu nichts zwingen.« Er weist auf die untergehende Sonne.
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