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Der blonde Vampir

Der blonde Vampir

Titel: Der blonde Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
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gewünscht?«
»Nicht mit Worten, aber er hat es getan. Ich griff nach deinem Foto, und er weinte. Schließlich wußte er, was ich bin – und daß ihm niemand helfen konnte. Aber er wollte nicht, daß ich dir etwas tue.« Ich streichle Rays Arme. »Es ist noch nicht zu spät. Bitte, geh jetzt.«
»Aber wenn du wirklich so schrecklich bist, warum hast du mich so sanft berührt, mich geliebt?«
»Du erinnerst mich an jemanden.«
»An wen?«
»An meinen Ehemann, Rama. In der Nacht, als ich zur Vampirin wurde, mußte ich ihn verlassen. Ich habe ihn nie wiedergesehen.«
»Das war vor fünftausend Jahren?«
»Ja.«
»Bist du wirklich so alt?«
»Ja. Ich habe Krishna persönlich gekannt.«
»Hare Krishna?«
Die Situation ist so ernst, trotzdem muß ich lachen. »Er war nicht so, wie man ihn sich heute vorstellt. Krishna war – es gibt einfach keine Worte, um ihn zu beschreiben. Er war alles. Und er hat mich all die Jahre beschützt.«
»Glaubst du das wirklich?«
Ich zögere, aber ich weiß, daß es die Wahrheit ist. Warum kann ich sie noch immer nicht akzeptieren? »Ja.«
»Warum?«
»Er hat mir versprochen, es zu tun, wenn ich ihm zuhöre. Und er hat es getan. Unzählige Male war ich in Situationen, in denen selbst meine große Kraft nicht ausgereicht hätte, diese zu überstehen. Aber ich habe es geschafft. Gott hat mich gesegnet. Gesegnet und verflucht.«
»Wie hat er dich verflucht?«
Meine Augen sind feucht vor Tränen. »Indem er mich einmal mehr in eine solche Situation gebracht hat. Ich kann nicht ertragen, dich zu verlieren, mein Liebling, aber du kannst auch nicht bei mir bleiben. Geh nun, bevor Yaksha kommt. Vergib mir, was ich deinem Vater angetan habe. Er war kein schlechter Mensch. Er wollte das Geld nur, um es dir zu geben. Ich weiß, daß er dich sehr geliebt hat.«
»Aber…«
»Still!« unterbreche ich ihn. Ich habe etwas gehört, den Klang einer Flöte, der das Rauschen der Wellen begleitet, ein einzelner Ton nur, der mich zu sich ruft und mir sagt, es ist zu spät.
»Er ist hier«, flüstere ich.
»Wer?«
Ich stehe auf und trete zu den Fenstern, von denen aus man aufs Meer blicken kann. Ray erhebt sich und tritt neben mich. Unten am Ozean, wo die Wellen gegen die Felsen schlagen, steht jemand, der ganz in Schwarz gekleidet ist. Er steht mit dem Rücken zu uns, aber ich sehe die Flöte in seinen Händen. Sein Lied ist traurig – wie immer. Ich weiß nicht, ob er für mich spielt oder für sich selbst – oder vielleicht für uns beide.
»Ist er es?« fragt Ray.
»Ja.«
»Er ist ganz allein. Wir können ihn überwältigen. Hast du eine Waffe?«
»Ich habe eine unter dem Kissen dort hinten versteckt. Aber eine Waffe wird ihn nicht aufhalten. Es sei denn, er wird mit Kugeln völlig durchlöchert.«
»Warum willst du aufgeben, ohne zu kämpfen?«
»Ich gebe nicht auf. Ich werde mit ihm sprechen.«
»Dann begleite ich dich.«
Ich wende mich zu Ray und streichle ihm übers Haar. Er wirkt auf mich so zerbrechlich. »Nein. Das geht nicht. Er ist noch weniger menschlich, als ich es bin. Ihn interessiert nicht, was ein Mensch zu sagen hat.« Ich lege meinen Finger auf seinen Mund, als er protestieren will. »Widersprich mir nicht. Du kannst mich nicht überreden.«
»Jedenfalls werde ich nicht gehen«, erklärt er.
Ich seufze. »Wahrscheinlich ist es dafür ohnehin zu spät. Bleib also. Sieh zu. Und bete.«
»Zu Krishna?«
»Gott ist Gott. Sein Name ist nicht wichtig. Aber ich glaube, daß wirklich er allein uns helfen kann.«
Ein paar Minuten später stehe ich zehn Fuß hinter Yaksha. Der Wind ist stark und bitter. Er scheint geradewegs aus der eisigen Sonne zu kommen, die wie ein aufgedunsener Blutstropfen am diesigen Horizont hängt. Die Gischt der Wellen hängt in Yakshas langem schwarzem Haar wie Morgentau. Einen Augenblick lang kommt er mir wie eine Statue vor, die viele Jahrhunderte lang vor meinem Haus gestanden hat. Irgendwie war er immer Teil meines Lebens – auch ohne selbst anwesend zu sein. Jetzt hört er auf, die Flöte zu spielen.
»Hallo«, sage ich zu diesem Geschöpf, mit dem ich seit der Götterdämmerung nicht mehr gesprochen habe.
»Hat dir mein Lied gefallen?« fragt er und hält mir weiter den Rücken zugewandt.
»Es klang traurig.«
»Es ist ein trauriger Tag.«
»Der bald zu Ende geht«, sage ich.
Er nickt, als er sich umwendet. »Ich will, daß er endet, Sita.«
Die Jahre haben sein Aussehen nicht verändert. Warum erstaunt mich das so, da es mir doch nicht anders ergangen ist? Ich

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