Der Blumenkrieg
nicht mehr schlagen konnte. Der Hohlrücken beäugte ihn, warf einen Blick auf den zitternden Wichtel neben ihm, dann ging er weiter und sondierte die Leute in der nächsten Reihe.
Theo hob die Augen zur Decke auf und sank in sich zusammen. Ihm war, als müßte er vor maßloser Erleichterung ohnmächtig werden. Doch als er gerade den Atem entweichen lassen wollte, den er so lange angehalten hatte, daß ihm schon Sternchen am Rand des Gesichtsfeldes flimmerten, schraubte sich das weiße, halb verhüllte Gesicht in seine Richtung zurück. Der Kopf senkte sich, und Theo hörte ein lautes Pusten, dann streckte der Hohlrücken die Hand aus, so daß zwischen schwarzem Handschuh und schwarzer Manschette ein Streifen feuchter weißer Haut sichtbar wurde, und tippte einen der Schutzmänner am Ellbogen an.
»Da hinten«, krächzte der Hohlrücken. Die Stimme klang rauh, aphasisch, als ob der Mann mit Organen spräche, die er gewaltsam zur Rede zwang, aber die eigentlich zu einem anderen Zweck gedacht waren. »Da ist … etwas …jemand …«
Die Polizisten drehten sich um und ließen sich von dem Wesen mit dem feuchten Gesicht, das die Luft schnupperte wie ein Schweißhund, in Theos Richtung zurückführen. Die winzigen Augen unter der Hutkrempe spähten nach Theo und fanden ihn wieder, und diesmal glitten sie nicht weiter.
»Ja«, sagte der Troll. »Ja, genau. Das ist er.«
16
Poppi
D a bist du ja!«
Theo kannte die Stimme, doch er war zu starr vor Schreck, um sich zu erinnern, wem sie gehörte oder woher er sie kannte. Die bewaffneten Schutzleute, die, angeführt von dem Hohlrücken, direkt auf ihn zugeschritten waren, hielten auf den plötzlichen Ausruf hin inne.
»Was treibst du hier hinten, du Spitzbube?« Das Mädchen in Schwarz mit den violetten Augen hatte ihr Erster-Klasse-Abteil verlassen und kam den Gang hinuntergestürmt, daß die Schöße ihres langen Mantels wie Fledermausflügel flatterten. Die Polizisten glotzten sie mit offenen Mündern an, und Theo war nicht minder verdattert Sie schien mit ihm zu reden. »Dachtest du, ich schlafe den ganzen Tag?« Sie wandte sich an den Wagen insgesamt: »Es stimmt, ich bin eine großzügige Herrin, aber es gibt Grenzen! Meint ihr nicht auch?« Sie blieb neben Theo stehen und gab ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf. »Steh auf, du elender Flegel! Ich bin sehr ungehalten über dich. Ich habe minutenlang nach dir geklingelt, und es hat sich überhaupt nichts gerührt. Und jetzt steckst du hier hinten und hast bestimmt nichts Besseres zu tun, als mit irgendwelchen anderen Taugenichtsen zu spielen und schmutzige Witze zu reißen.« Während Theo sie noch völlig fassungslos angaffte und Apfelgriebs desorientiert in seinem Hemd herumzappelte, bedachte die junge Frau die beiden Schutzmänner mit einem strahlenden Lächeln. »Hat mein Diener etwas gestohlen? Wenn ja, dann habt ihr meine Erlaubnis, ihn hinauszuführen und auf der Stelle zu erschießen!« Das Lächeln verwandelte sich in ein gespieltes Stirnrunzeln. »Andererseits hängen Papi und Mami schrecklich an ihm. Vielleicht sollte ich ihn lieber doch nicht erschießen lassen.«
»Das ist … irgendein Trick.« Der Hohlrücken trat ruckartig vor. Er wandte sich den Feldlichen Sonderschutzleuten zu. »Er ist es – da bin ich mir sicher …«
»Steh auf, Quäus, und erkläre mir, womit du diesen … feuchten Herrn so erzürnt hast.« Die junge Frau griff unter Theos Ellbogen und zerrte, bis er sich aufrappelte. Alle im Wagen sahen zu, sämtliche Schlitzaugen und dreieckigen Fledermausohren waren auf sie beide gerichtet. Theo war dermaßen perplex, daß er eine ganze Weile brauchte, bis er begriff, daß das Mädchen ihm etwas Hartes und Dünnes in die Hand zu schieben versuchte. In der ersten Schrecksekunde dachte er, es wäre ein Messer und sie wollte, daß er die schwerbewaffneten Polizisten damit angriff.
»Ich … ich weiß nicht.« Er brachte kaum die Worte heraus.
»Er ist ein Mörder«, knarrte der Hohlrücken. »Er hat erst vor wenigen Stunden im Schattenhofer Bahnhof einen jungen Blumenedlen getötet.« Viele der Umsitzenden gaben bei dieser Anschuldigung erschrockene Töne von sich und starrten Theo mit gebannten Blicken an. Ein Raunen lief durch den Wagen wie Wind durch ein Weizenfeld.
»Unsinn«, widersprach die junge Frau. »Er ist den ganzen Tag nicht von meiner Seite gewichen, bis ich mich vor einer Weile zur Mittagsruhe hingelegt habe. In Schattenhof haben wir den Zug überhaupt
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