Der Blumenkrieg
den Randbezirken der Stadt zustrebten, um vor der Sperrstunde zu Hause zu sein. Keiner der Polizisten schien ihnen mehr als einen flüchtigen Blick zuzuwerfen. Es war jedoch ein langer, anstrengender Weg; als sie schließlich die Massen hinter sich gelassen hatten und nach dem Aufstieg zu den Höhen an der Grenze zwischen Sonnenuntergang und Dämmerstund wieder hinunter in Richtung Fenn marschierten, war Theo dermaßen erschöpft und fußlahm, daß selbst die Aussicht, von Nieswurz’ Schergen geschnappt zu werden, viel von ihrem Schrecken verloren hatte. Wenigstens würden sie mich irgendwo hinfahren, bevor sie mich folterten, und ich dürfte eine Weile sitzen. Herrje, ich bin überhaupt nicht in Form. Bei diesen Actionhelden sieht man nie, daß einer ächzt und schnauft, solange er nicht einen Fahrstuhlschacht hochgeklettert ist oder so was Ähnliches. Sie stapften gerade in der gleißenden Spätnachmittagssonne eine gewundene Straße hinunter, die völlig ausgestorben wirkte, wenn man von den verstohlenen Bewegungen in den runden, abgedunkelten Fenstern absah, aus denen die dort wohnenden Gnome und Wichtel sie beäugten, da kniff Wuschel die Augen zusammen und betrachtete die sich vor ihnen erstreckende kupferrote Linie des Flusses und vor allem die dunkle Masse von Leuten und Zelten, die sich jenseits der alten Wunderwehrbrücke an den Ufern drängten. »Am Rand des Lagers parken viele Kutschen und Laster«, verkündete er.
»Meinst du, es sind Nieswurz’ Leute?« Knopf hatte etwas von einer Inspektion gesagt, einem vom Parlament der Blüten ausgesandten Spähtrupp, aber in dem ganzen Durcheinander des Nachmittags war Theo das vollkommen entfallen. Mußten sie sich jetzt die ganze Nacht über irgendwo im Gebüsch verstecken?
Wuschel schirmte seine Augen ab. »Ich weiß nicht – es sind mehr Laster als Kutschen, aber sie sehen eigentlich nicht wie die normalen Fahrzeuge der Schutzleute aus. Trotzdem ist es wohl besser, wir nähern uns vorsichtig.«
Am Fuß des Hügels schlugen sie einen kleinen Umweg über das buckelige Brachland zwischen dem Stadtrand und dem Fenn ein und hatten das Glück, auf eine Schar von Goblins zu treffen, die nach einem mit Arbeitsuche verbrachten Tag in der Stadt auf dem Heimweg zur Brücke waren und dabei unter sich eine Flasche herumgehen ließen. Zunächst betrachteten die Goblins Theo und die beiden Elfen mit Mißtrauen, und sie schienen auch Kleiderhaken nicht zu kennen, auf den Wuschel sich berief, doch als Theo sie fragte, ob sie den Musiker Korken kannten, und ihnen eine kleine Passage des Liedes vortrug, das er in seiner ersten Nacht im Lager mit den Goblinmusikern gesungen hatte, fingen sie an zu grinsen. Einer von ihnen erkannte ihn daraufhin, lachte und nannte ihn beinahe freundlich den »Blütentyp mit der Quäke« – was wohl soviel hieß wie »der Elf, der meint, daß er singen kann« – und bot ihm dann die Flasche an, in der eine verdächtig aussehende Flüssigkeit schwappte. Die Höflichkeit verlangte, daß er davon kostete. Das Zeug schmeckte, als wäre es aus Baummoos gemacht, und war so stark, daß ihm die Augen tränten. Die Goblins ergötzten sich außerordentlich an seiner Miene und seinen Geräuschen.
Gemeinsam setzten sie nun den Weg zur Brücke fort, was Theo und seinen Gefährten immerhin die zweifelhafte Tarnung verschaffte, in der Gesellschaft der heimkehrenden Tagelöhner gehen zu können – zweifelhaft deswegen, weil er und sogar Wuschel offensichtlich zu groß waren, um Goblins zu sein, von Stracki ganz zu schweigen, der fast einen Meter größer war als ihre neuen Genossen.
»Ich sehe nirgends Schutzleute«, sagte Wuschel, als sie sich der Brücke näherten, »dafür eine ganze Reihe von zivilen Leibwächtern. Und außer den Leibwächtern sind die meisten Leute, die mir nicht bekannt vorkommen, anscheinend Frauen – Blumenfrauen, denke ich mal, wenigstens sind sie zu fein gekleidet, um aus dem Lager zu sein. Ich denke, sie verteilen Lebensmittel. Und Kleidung.« Er schaute noch einmal genauer hin, eine Hand über den Augen. »Und Stofftiere.«
»O Mann, ich vergesse ständig, daß wir in einem Flüchtlingslager leben. Knopf hat etwas von einer Wohltätigkeitsaktion gesagt.« Theo schüttelte den Kopf. »Ich wußte schon, daß mein Leben verkorkst war, aber trotzdem hätte ich nicht gedacht, daß irgendwelche reichen Damen mich einmal zum Gegenstand ihrer Nächstenliebe erwählen würden. Können wir uns das vielleicht ersparen?«
»Tja, wenn
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