Der Blumenkrieg
Angesicht.«
Schwindlig vor Verwirrung hatte Theo den Eindruck, das Kindwesen wäre wieder in seinem Kopf, und er sähe durch zwei verschiedene Augenpaare, wäre gleichzeitig der Junge, der Theo anschaute, und Theo, der den Jungen anschaute, ähnlich zwei sich gegenüberstehenden Spiegeln. Dann begriff er, daß er in dem Gesicht des kleinen Scheusals seine eigenen Züge vor sich sah, die Züge seiner Familie, und das Ganze kam ihm vor wie die Pointe eines furchtbaren Witzes. Es war, als wäre er auf einem schlechten LSD-Trip und betrachtete ein Bild von sich selbst im Grundschulalter: seine eigene Nase – die dünne Nase seiner Mutter – noch mit einem kindlichen Himmelfahrtsschwung, das kräftige Kinn seines Vaters unter der rosig glänzenden geölten Haut. Aber die Augen … von der Farbe abgesehen hatten sie nichts mit seiner Familie zu tun oder überhaupt mit etwas Menschlichem. Sie waren so tot wie eine aufgebahrte Leiche.
»Oh, schützt die Ältesten Bäume …«, flüsterte Apfelgriebs erschrocken.
Mit einemmal fügte sich das letzte Stück von Dowds Geschichte in das Gesamtbild ein. Er ist der Wechselbalg. Nein, ich bin der Wechselbalg – er ist … er ist das wahre Kind meiner Eltern, der verlorene Sohn … Abrupt knickte Theo in der Taille ab und gab seinen spärlichen Mageninhalt von sich.
»Keine so glückliche Begegnung, fürchte ich«, sagte der Junge. »Ich hatte mir mehr erhofft bei den vielen interessanten Träumen, die wir gemeinsam hatten. Schließlich sind wir beinahe Zwillinge.«
Nieswurz gab ein angewidertes Geräusch von sich. »Putzt das auf!« befahl er den zwei benommen wirkenden Frauen. »Wir nehmen den Jungen jetzt mit.« Er betrachtete das Schreckliche Kind kurz. »Wie es aussieht, habt ihre beide ein tieferes Band, als man mir gesagt hat.«
»Mir ist oft langweilig, Stiefvater. Das war mein kleines Privatvergnügen.«
Nieswurz schüttelte den Kopf. »Ich mag keine Überraschungen. Diese … Verbindung stellt einen Unsicherheitsfaktor dar, und das zu einem Zeitpunkt, wo wir uns keinen einzigen leisten dürfen.«
»Er ist schwach, Stiefvater, und ich werde mit jeder Stunde stärker.«
»Trotzdem.« Er runzelte die Stirn. »Der Beseitiger hätte uns vielleicht ein paar Fragen über den genauen Charakter dieser Beziehung beantworten können, aber dank meines ältesten Sohnes haben wir diese Informationsquelle verloren.«
»Aber Vater!« protestierte Anton Nieswurz. »Ich habe es für dich getan! Ich habe es getan, weil …«
»Halt den Mund, ich habe dein Gewinsel satt. Alle Mann in die Kutschen! Wir haben es eilig. Rainfarn, du fährst mit mir und unserem heimgekehrten Veilchen … und dem Kind natürlich. Ich hätte da ein paar Fragen zu den Ereignissen im Lagerhaus des Beseitigers.«
»Ich kann dir alles sagen, was du wissen mußt, Vater«, wandte Anton ein, doch er wurde gar nicht beachtet.
»Anscheinend hat sich etwas geändert«, bemerkte das Kind. »Wir brechen früher auf.«
»Es gibt Widerstand.« Nieswurz wandte sich den anderen zu. »Kommt, wir verlieren Zeit. Ich habe vor, an einigen Querulanten ein Exempel zu statuieren.«
Die Gruppe schritt zügig den Korridor hinunter. Theo taumelte immer noch und mußte von seinen Bewachern praktisch getragen werden. Das kleine Scheusal schlang seine heißen, nassen Finger um Theos Hand, und dieser war zu schwach, um sich von dem erstaunlich festen Griff zu befreien.
»Endlich lerne ich meinen richtigen Bruder kennen.« Das Schreckliche Kind entblößte abermals seine makellosen Zähne, neben denen der Blutfleck am Mund noch schwerer zu übersehen war. »Zu schade, daß wir schon so bald wieder getrennt werden.«
40
Der Kampf auf dem Strohblumenplatz
O bwohl er in Elfien schon reichlich Absonderliches gesehen hatte, mußte Theo über die Erscheinungen staunen, die vor den drei großen Kampfkutschen in der Garage in Habachthaltung bereitstanden: Mit ihren langen, glänzenden Schnauzen und insektenartigen Kugelaugen sahen sie aus wie Außerirdische aus einem Hollywoodfilm. Es handelte sich, erkannte er, um Dooniechauffeure in einer Art Kampfausrüstung und mit Helmen über ihren länglichen Pferdeköpfen. Die Fahrzeuge selbst waren noch wuchtiger als die Geländekutschen, die sie in die Nieswurz-Residenz gebracht hatten, ausgestattet mit einer schweren, blätterartigen Panzerung an den Seiten und Front- und Heckrammbügeln, oben allerdings mit einer Kuppel, die ganz aus schwarzem Glas zu bestehen schien.
Seine
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