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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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wie ein winziges, starres Neunauge, dessen kreisrundes, zahnbewehrtes Maul immer noch stur auf- und zuging, auch als es auf die Straße kullerte. Theo krampfte sich der Magen zusammen, und heiße Galle stieg ihm in die Kehle, aber er hatte nichts mehr im Magen, was er hätte erbrechen können. Gleich darauf holperte der Konvoi weiter, hinweg über noch zuckende Leiber, und die Menge stob schreiend auseinander. Leute auf den Dächern oder in den höheren Fenstern warfen Steine herab, die auf die bombensichere Kutschenkuppel schlugen wie ein betrunkener Trommler.
    Theo fühlte regelrecht, wie von der kleinen Gestalt neben ihm das Vergnügen über dieses ganze Blutbad ausging, wie Wellen hämischer Freude ihn Stoß für Stoß innerlich durchrüttelten.
    Nieswurz schien das Ganze kaum zur Kenntnis zu nehmen, aber Rainfarn fiel es sichtlich schwer, sich ruhig zu unterhalten. Der Chrysanthemengraf wirkte weiterhin wie eine zerbrochene Porzellanpuppe, deren Gesicht mit schlechtem Leim geklebt worden war, und er schien Schmerzen zu haben. Immer wieder blieb sein fassungsloser Blick an dem Gemetzel ringsherum hängen. »Mein Fürst, bitte, ich … ich dachte, dein Sohn würde auf deinen ausdrücklichen Befehl hin handeln …«
    »Dem war auch so, bis zu einem gewissen Punkt. Und genau über diesen Punkt, wo er davon abwich, möchte ich mir Klarheit verschaffen.«
    »Wir … wir hörten ihn eine Zeitlang mit der Spinne ab. Der Beseitiger sagte … er sagte …« Rainfarns Stimme sank zu einem verschwörerischen Flüstern ab, und Theo konnte nicht mehr verstehen, was er sagte.
    Hier, Theo. Der Zug war so stark wie Nieswurz’ magischer Bann, aber subtiler, wie der innere Zwang, bei einem Unfall stehenzubleiben und zu gaffen. Sieh her. Theo drehte sich dem Kind zu.
    »Weißt du, wie ich genannt werde?« fragte der Junge jetzt laut. Er hatte seinen dicken Mantel fest um sich gezogen, als ob der Wagen ein über die russische Steppe sausender Schlitten wäre; nur sein kleines rundes Gesicht und die Kuppen seiner Stummelfinger schauten heraus. Die Augen begegneten dem Blick, den Theo auf ihn richten mußte, ob er wollte oder nicht. »Ich werde das Schreckliche Kind genannt. Eigentlich ist das ein Titel, kein Name. Wobei ich natürlich einen Namen habe, auch wenn niemand ihn benutzt. Du kennst meinen Namen, nicht wahr?«
    Theo versuchte zu antworten, aber ein albtraumhaftes Gewicht drückte ihm die Brust zusammen, und er konnte nicht tief genug atmen.
    »Er lautet Theo Vilmos.« Das Kind lachte und streckte dabei die Zungenspitze zwischen den kleinen, blendend weißen Zähnen heraus. »Ich heiße Theodore Patrick Vilmos. Du hast meinen Namen und meine Eltern erhalten, aber sie waren in Wahrheit niemals dein. Du bist bloß eines von vielen Veilchenkindern, der Letzte und Geringste einer ausgerotteten Familie. Weißt du, ich sehe meine Eltern manchmal in deinen Träumen – Anna und Peter. Ich lasse sie aus deinen Erinnerungen erstehen, damit ich mir anschauen kann, wie sie aussahen, und damit ich dich auslachen kann, wenn du dir Entschuldigungen an sie abringst, obwohl du ihnen gleichzeitig deine eigenen Unzulänglichkeiten vorwirfst.«
    Ihre Namen aus diesem Mund zu hören, erbitterte Theo so, daß er endlich genug Luft bekam, um seine Stimme zu betätigen. »Sie … waren nicht … deine Eltern. Am Anfang warst du ihr Kind, aber … aber jetzt gehörst du zu niemandem mehr. Du bist … ein Monstrum. Ein verkorkstes, unmenschliches Monstrum.«
    Der Junge nickte, durchaus nicht beleidigt. »Ich bin der einzige meiner Art, das ist richtig. Es gibt schlimmere Schicksale – mittelmäßig zu sein zum Beispiel oder noch nicht einmal mittelmäßig. Ein Versager. Ein Nichts. Apropos, wußtest du, daß ich mit dir in der Narzissen-Residenz war, als du im Rauch und Staub herumgestolpert bist? Ich habe alles durch deine Augen beobachtet, habe deine Gedanken getrunken. Ach, die armen kleinen Elflein! So eine Zerstörung aber auch! Wie traurig! Und deine Furcht habe ich auch getrunken. Das war wirklich ein sehr befriedigendes Erlebnis, du bist also wenigstens zu irgend etwas nutze.«
    Theo versuchte, nach dem Kind zu schlagen, konnte aber seine Hand nicht höher als ein paar Zentimeter über den Schoß heben. Deprimiert stöhnte er auf, als er sah, daß er sich vergeblich mühte.
    Der Junge lächelte. »Daß du überhaupt noch am Leben bist, hast du nur der Tatsache zu verdanken, daß andere Leute vor Jahren bestimmte Dinge getan haben, und

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