Der Blutfluch: Roman (German Edition)
über dem Dorf. Wehranlagen, Tortürme und ein gewaltiges Wohnhaus schälten sich langsam aus dem Dunst.
Donaustauf übte eine besondere Anziehungskraft auf Aliza aus. Etwas an dem Felssteingemäuer hatte schon am Vortag ihre Vorstellungskraft angeregt.
Die Burg weckte den Wunsch in ihr, von Mauern und einem richtigen Dach behütet leben zu dürfen. Sie sehnte sich hier nach einer Tür, mit der sie Sizma aussperren konnte, nach einer Zugbrücke, die nicht einmal Tibo überwinden konnte.
Sie starrte zur Burg hinauf, bis ihr die Nackenmuskeln vor Anspannung schmerzten. Nur mit Mühe riss sie sich schließlich los und rief sich zur Ordnung. Niemals würde sie unter einem festen Dach leben. Kein Bürger, Bauer oder Händler nahm ein Mädchen aus dem fahrenden Volk unter sein Gesinde auf. Abgesehen davon würde auch keiner aus ihrem Stamm Verständnis für den Wunsch aufbringen, irgendwo sesshaft zu werden.
Sie kreuzte einen halb überwucherten Treidelpfad, der offensichtlich schon länger nicht mehr benutzt worden war, und hielt erst inne, als sich ihr Kittel verhakte. Dunkelblau leuchteten die Früchte eines Brombeerstrauches im Versteck der Ranken. Vorsichtig befreite sie ihr Kleid und zog zufrieden die Zweige auseinander.
Leena schätzte die Dornbeeren besonders. Getrocknet waren sie im Winter ein wirksames Heilmittel gegen Halsschmerzen und Heiserkeit. Am einfachsten erntete man sie mitsamt den Zweigen, um sie in Bündeln unter dem Wagendach zum Trocknen aufhängen zu können.
Die fruchttragenden Triebe waren schwer vom Strauch zu trennen. Aliza verletzte sich immer wieder die Hände an den Dornen und steckte sich zum Trost die eine oder andere Beere in den Mund. Außer einem Becher verdünnten Weines hatte sie noch nichts im Magen. Die Früchte regten den Speichelfluss an und verstärkten das nagende Hungergefühl, anstatt es zu beseitigen.
Was es in der Burg wohl zur Morgenmahlzeit gab?
Köstlichkeiten, wie sie anlässlich der Hochzeit in Würzburg aufgetischt worden waren? Von Eiersuppe mit Safran war dort die Rede gewesen. Von gebratenem Fleisch und Fisch aller Art sowie von einem Wunderwerk, das man Konfekt nannte und das angeblich in himmlischer Süße auf der Zunge zerging.
Was die Kaiserin wohl täglich serviert bekam?
Immer wieder erinnerte sich Aliza an die zierliche Person in den prächtigen Gewändern. Sie konnte sie nicht vergessen. Von ihr zu träumen lenkte sie auf angenehme Weise von den eigenen Problemen ab.
Hundegebell und Männerrufe näherten sich. Pferdehufe trommelten den Treidelpfad entlang, spritzten durch Wasser und Schlamm. Eine Jagdgesellschaft? Wer sonst war um diese Morgenstunde so ungestüm unterwegs?
Aliza duckte sich hastig tiefer hinter die Brombeerhecke, aber die Jagdhunde hatten sie bereits gewittert. Hechelnd brach ein Schweißhund durch das Gestrüpp und verstellte ihr bellend den Weg. Auf dem Fuße folgte sein Reiter.
»Wen haben wir denn da?« Der Reiter brachte den Hund mit einem Pfiff zum Schweigen. »Was suchst du auf Donaustaufer Land, Mädchen? Burg und Flussauen sind Besitz des Bischofs von Regensburg. Du siehst mir nicht so aus, als gehörtest du zu seinem Gesinde, das er gestern aus der Stadt mitgebracht hat.«
Aliza fixierte stumm die Beerenbüsche. Welch ein Pech, dass der Bischof ausgerechnet jetzt Wohnung in Donaustauf genommen hatte. Was trieb ihn aus der Stadt, so kurz vor dem Reichstag, zu dem der Kaiser und sein Hof in Kürze in Regensburg erwartet wurden?
Bedrängt von dem Ross, dessen Vorderhufe bedenklich nahe vor ihrem Kittelsaum tänzelten, hielt Aliza den Atem an und den Kopf krampfhaft gesenkt.
»Rupert, wo bleibst du?« Der ferne Ruf galt dem Reiter. »Lass den Hund, der folgt uns von allein. Er ist darauf abgerichtet, Wasservögel aufzustöbern. Er kennt das Flussufer besser als wir.«
»Ich komme gleich.«
Sattelleder knirschte, der Mann sprang zu Boden. Reiterstiefel aus geschmeidigem Leder mit kräftig genähten Sohlen gerieten in Alizas Blickfeld. Sie verrieten Wohlstand. Mit Daumen und Zeigefinger ergriff der Reiter ihr Kinn und hob es gegen ihren Widerstand leicht an, der Morgensonne entgegen. Aus schmalen Augen blickte Aliza ihn an.
Sie kannte diesen Mann!
Sein zweiter Daumen wischte nachlässig über ihren Mundwinkel.
»Lass dir einen guten Rat geben, Kleine. Sieh zu, dass du nach Hause in dein Dorf kommst, dies ist kein Tag zum Beerenernten. Auf der Burg erwarten sie heute den Kaiser und seine Begleitung, da wird es hoch
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