Der Blutfluch: Roman (German Edition)
ersetzen, indem er uns eine eigene Familie schenkt.«
»Dann geht zu ihm«, schlug Aliza vor. »Es sind nur wenige Schritte.«
»Das kann ich nicht.«
»Was hindert Euch daran? Stolz oder Kleinmut?«
»Keines von beidem. Meine Erziehung. Im Kloster hat man mir Scham, Keuschheit, Demut und Würde in Sitten und Gebärden gepredigt. Als Königin muss ich doch allen ein Vorbild sein.«
»Und wie soll der Kaiser jemals erfahren, was Ihr denkt oder fühlt, wenn Ihr, wohlerzogen, aus Scham keusch und in Demut stumm bleibt? Keine Frau der Tamara würde ihr Glück freiwillig hingeben, nur damit man sie für demütig und gesittet hält.«
»Du bist eine Rebellin, Aliza.«
»Bin ich nicht. Ich möchte Euch nur Mut machen. Wer will Euch verübeln, dass Ihr Euren Mann liebt und Euch nach der Zweisamkeit mit ihm sehnt?«
»Ich kann nicht einfach handeln, wie du dir das so vorstellst. Man wird sich das Maul zerreißen über die unbeherrschte Königin, und das wird der Kaiser nicht einfach so hinnehmen können.«
»Er wird sich einen Teufel darum scheren, weil er Euch liebt und weil er Euch auch in diesem Wunsch respektieren wird.«
Beatrix zupfte nachdenklich an ihrer Nasenspitze. Friedrich würde arbeiten, ging es ihr durch den Kopf. Nach einem Tag voller öffentlicher Auftritte und Zeremonien blieb ihm nur die Nacht, um Entscheidungen vorzubereiten, die er am nächsten Morgen zu treffen hatte. Allein oder mit einem Ministerialen, der ihm nötigenfalls aus den erforderlichen Dokumenten vorlas. Von dieser Gewohnheit ging er auch auf Reisen nicht ab, das hatte sie inzwischen herausgefunden.
Durfte sie es wagen?
Aliza nickte so nachdrücklich, als habe sie die stumme Frage verstanden.
»Und wenn er mir zürnt?«
»Dann wird er Euch auch wieder verzeihen. Das Risiko müsst Ihr eingehen. Nichtstun hilft Euch nicht weiter. Es ist genau die Torheit, die man am leichtesten vermeiden kann.«
Aliza suchte einen dunklen Umhang aus der Kleidertruhe und legte ihn Beatrix um die Schultern.
»Auch wenn es nur wenige Schritte sind. Ich begleite Euch.«
»Nein. Du bleibst.«
Beatrix zog den Stoff vor der Brust zusammen.
»Es kann sehr wohl sein, dass wir einem Schreiber oder Friedrichs Vetter Heinrich begegnen. Willst du dem Löwen wieder in die Hände fallen?«
»Oh, nein. Natürlich nicht. Danke für die Vorsicht. Auf gut Glück, geht.«
Die Wächter zu beiden Seiten ihres Zelteingangs waren, der nächtlichen Kühle wegen, näher an den Feuerkorb gerückt. Ihre ganze Aufmerksamkeit war nach vorne ins Dunkel gerichtet, so dass ihnen der Schatten in ihrem Rücken entging.
Die Männer des Kaisers waren aufmerksamer, hoben jedoch erschrocken die gekreuzten Lanzen, als Beatrix schweigend die Kapuze des Mantels zurückstrich. Kein Wort musste gewechselt werden. Beatrix fiel ein Stein vom Herzen. Sie hätte nicht gewusst, was sie sagen sollte.
Sie traf Friedrich, die Hände in den Haaren vergraben, taub für jede Störung, grübelnd über einem Dokument. Er bemerkte nicht einmal, dass sie an seine Seite trat. Wissbegierig beugte sie sich neben ihm vor. Er war ein Bauplan, den er studierte.
»Was soll das werden? Eine Kirche? Ein Kloster? Eine Burg?«
»Beatrix!«
»Ich habe so lange gewartet und gehofft, dass du kommst«, antwortete sie. »Ich hoffe, ich störe dich nicht.«
Seine Nähe machte sie befangen. Dass er spontan aufsprang, trug nicht dazu bei, sich wagemutiger zu fühlen. Sie wich scheu zurück, bevor sie weitersprach.
»Erzähl mir, was dich beschäftigt. Bist du nicht ebenfalls müde nach diesem langen und lauten Tag?«
Da er anhaltend schwieg, überspielte sie die Verlegenheit, indem sie auf den Plan deutete.
»Was hat es mit diesem Bau auf sich?«
Friedrich strich mit der Rechten sein zerwühltes Haar glatt, dann entspannte er sich. Er ergriff ihre ausgestreckte Hand, zog sie näher zu sich und küsste sie auf die Stirn.
Er ist mir nicht böse.
»Es handelt sich um eine Pfalz, die auf dem Eulenberg über dem Neckartal errichtet wird. Die dazugehörige Siedlung heißt Wimpfen«, erklärte er. »Die natürlichen Gegebenheiten bieten optimalen Schutz auf diesem Hügel. Im Norden und Osten steil abfallende Hänge und im Süden begrenzt ein Bachlauf das Gebiet, der zum Burggraben erweitert werden kann. Möchtest du noch mehr wissen?«
»Aber ja.« Beatrix bedachte ihn mit einem dankbaren Lächeln. »Warum brauchst du auf dem Eulenberg eine Pfalz? Lohnt es die Mühe, das Baumaterial dort hinauf zu
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