Der Blutfluch: Roman (German Edition)
sie Beatrix nicht vor ihm warnen?
Wenn sie es tat, was wurde dann aus Leena und den anderen?
In Gedanken war sie oft bei ihrer Ziehmutter. Sie musste außer sich vor Sorge sein. Die Unsicherheit über ihr und Sizmas Schicksal würde sie peinigen wie die Brandwunden. Hatte man inzwischen einen neuen Anführer gewählt? Aber was konnte der schon gegen die Kriegsknechte des Fürstbischofs ausrichten?
Zum Ende des Sommers hatte Tibo südwärts ziehen und die kalte Jahreszeit in milderen Gefilden verbringen wollen. Blieb der Stamm nach seinem Tod bei diesem Plan? Egal, wer was entschied, sie mussten aufbrechen, wollten sie nicht in Donaustauf festsitzen. Wenn Regenfälle die Straßen und Wege aufweichten, entwurzelte Bäume sie blockierten, war es zu spät. Ganz zu schweigen vom ersten Schnee, der so weit im Norden schon Ende September oder Anfang Oktober fallen konnte.
Ein Winter am Fluss wäre für die Alten und die ganz Jungen gleichbedeutend mit einem Todesurteil. Greise und Säuglinge würden ihm zum Opfer fallen. Die Wagen boten nur unzureichend Schutz vor der Witterung, viele der Zeltplanen waren seit Monaten brüchig. Auf dem sumpfigen Flussgelände würde allen die Feuchtigkeit in die Knochen kriechen. Ganz davon zu schweigen, dass trockenes Brennholz für die Kochfeuer dort kaum zu finden war. Hunger und Kälte warteten auf die Tamara. Auf Hilfe konnten sie weder von der Burg noch aus dem Dorf Donaustauf rechnen. Im günstigsten Fall blieben sie ihrem Schicksal überlassen. Im schlimmsten Fall mussten sie mit zusätzlichen Repressalien rechnen.
Hoffnungslosigkeit legte sich ihr wie ein Mühlstein aufs Gemüt.
Was, außer Elend und Unglück, hatte sie zu erwarten?
Königin Beatrix
Regensburg, 14. September 1156
D ie Steinerne Brücke wurde in nur elf Jahren erbaut und wölbt sich in vierzehn Bögen über den Fluss«, erklärte der Fürstbischof des Hochstiftes Regensburg, Hartwig von Spanheim, eifrig. »Jeder Pfeiler ruht auf seinem eigenen Schwellrost aus Eichenstämmen im Kiesbett der Donau.«
Im Tonfall einer Sonntagspredigt fügte er eine ganze Reihe von Einzelheiten hinzu, die Beatrix’ Kenntnisse der deutschen Sprache überforderten. Das Bauwerk erfüllte die Regensburger mit solchem Stolz, dass seine Eminenz kein Ende fand. Während er über Fangdämme, Unterspülungen und Donaustrudel referierte, versuchte sie sich vorzustellen, wie das Kreuzfahrerheer, dem damals auch Friedrich angehört hatte, trockenen Fußes diese Brücke überquert hatte. Fast genau neun Jahre lag der Tag zurück, an dem die Elite der abendländischen Ritterschaft von Regensburg aus ins Heilige Land aufgebrochen war. Welch ein Abenteuer.
Auch in Burgund hatte man sich seinerzeit die Geschichten vom Heldenmut und der Frömmigkeit der Kreuzfahrer erzählt. Im Mittelpunkt der Neugier stand dort jedoch Eleonore von Aquitanien, die mit ihrem Mann, König Louis von Frankreich, ebenfalls nach Jerusalem aufgebrochen war. Mittlerweile war Eleonore – wegen zu naher Verwandtschaft – vom französischen König geschieden und mit dem Herrscher von England verheiratet. Friedrich musste sie von Angesicht zu Angesicht gesehen haben. War sie wirklich so wunderschön, wie Gerüchte und Lieder behaupteten? So kühn und selbstbewusst, dass es sie nicht kümmerte, wenn sie Anstoß erregte? Woher nahm sie den Mut dazu?
Ein Aufschrei ging durch die Menschenmenge und machte Beatrix’ Tagträumen ein Ende. Auf der Festwiese waren das Donnern der Hufe und das Waffengeklirr verstummt. Sogar der Fürstbischof unterbrach seinen Vortrag. Hatte sie etwas Wichtiges versäumt?
Seit Stunden kämpften die fähigsten Ritter des Kaisers auf dem Turnierfeld vor den Toren von Regensburg um Ruhm und Ehren. Die Waffengänge glichen einander, auch Lärm, Staub und das Geschrei waren stets dasselbe. Ganz Regensburg drängte sich hinter den Absperrungen, so dass sich Beatrix auf der Tribüne wie an Deck eines Schiffes im Sturm vorkam. Sie brauchte ihre ganze Willenskraft, um zu verbergen, wie sehr sie fürchtete, verschlungen zu werden, in diesem Meer von Menschen, aufgeheizt von dem Spektakel und den Getränken, mit denen sie Staub und Hitze hinunterspülten, erregt vom Blut, das reichlich floss, und getrieben von Trommelschlag und Fanfarenstößen.
Obwohl Beatrix wusste, wie überlebenswichtig es war, dass die Ritter Erfahrungen im Kampf Mann gegen Mann sammelten, fand sie es wenig unterhaltsam, dabei zuzusehen. Es mutete sie grausam an, dass ein einziger
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