Der Blutfluch: Roman (German Edition)
erinnern. Wie war sein Name?«
»Milosh.«
»Wie fremdartig das klingt. Wie alt war er? Woran ist er gestorben?«
Ein leises Räuspern im Hintergrund kündigte eine Störung an. Erleichtert eilte Aliza, um den Stoff zurückzuschlagen. Ein Knappe mit staufischem Wappen auf dem Wams blickte hochnäsig an ihr vorbei und übermittelte der Königin eine Botschaft. Der Kaiser schickte nach ihr.
Aliza war froh, dass das Gespräch beendet worden war. Sie zitterte am ganzen Leib bei dem Gedanken an Miloshs Tod und ihre Situation. Mit einem Male wurde ihr alles zu viel. Wann hatte sie zuletzt den Himmel gesehen, den Wind auf der Haut gespürt, die Erde unter den Füßen?
Im Schutz der Königin war sie nicht weniger eine Gefangene als in Herrn Bertholds Gewalt. Doch bei Beatrix konnte sie – was bei ihm unmöglich war – wenigstens das Zelt verlassen. Wenn der Kaiser so ausdrücklich nach seiner Frau sandte, dauerte es meist Stunden, ehe sie wieder zurückkam. Aliza wollte diese Zeit nutzen, um unter freiem Himmel wieder zu sich zu finden.
Einen Ledereimer in der Hand, ging sie. Hielt man sie auf, konnte sie immer noch sagen, sie hole Wasser.
Niemand sprach sie an.
Das Lager war eng und laut. Der Sonnenuntergang färbte den Horizont flammend rot, vom Flussufer krochen bereits erste Nebelschwaden zwischen die Zelte. Sie dämpften Farben wie Geräusche und wiesen Aliza den Weg zur Donau.
Sie hörte schon das Rauschen des Wassers, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte.
Der Löwe? Berthold?
»Habe ich dich nicht um Geduld gebeten? Was treibst du dich hier herum?«
Rupert.
»Ich wusste nicht, dass Ihr mich bewacht.«
»Da habe ich weiß Gott Besseres zu tun«, fuhr er sie schroff an.
»Was wollt Ihr dann von mir?«
»Komm mit! Wir fallen auf.«
Sie leistete keinen Widerstand, als Rupert ihren Oberarm ergriff und sie fortzog.
»Noch mal. Es kann keine Rede davon sein, dass ich dich bewache. Die Zelte des Kaisers sind der Mittelpunkt des Lagers. Wenn du den Hauptweg entlanggehst, statt die Seitengassen zu nehmen, wie es dir geziemen würde, wirst du früher oder später Berthold oder dem Löwen über den Weg laufen. Du kannst von Glück sagen, dass sie nicht unterwegs sind. Sie wurden zum Kaiser befohlen.«
Glück? Was war schon Glück?
Etwa die Tatsache, dass er ihr offensichtlich wohlgesinnter war als die anderen, dass sie in seiner Gegenwart keine Angst verspürte? Seine Hand um den Arm gab ihr sogar Sicherheit, wenn sie auch einen Anflug von Misstrauen nicht unterdrücken konnte, als er sie zur Kreuzhofkapelle führte, die plötzlich hinter den Bäumen auftauchte.
Rupert öffnete die Tür und schob sie vor sich in die Kirche. Nur das rötliche Glühen des ewigen Lichtes gab ein wenig Orientierung im sonst stockfinsteren und menschenleeren Inneren der Kapelle. Aliza schätzte sie auf annähernd fünfundzwanzig Fuß breit und etwa doppelt so lang. Sie war dem heiligen Ägidius geweiht, der als Schutzpatron der Bettler, Aussätzigen und Schiffbrüchigen in Not verehrt wird. Und der Altar war der, vor dem die Kreuzfahrer im Jahr 47 die Hilfe Gottes für ihre Reise ans Grab Jesu erfleht hatten.
Von Beatrix wusste sie das. Sie liebte es, ihr solche Dinge zu erklären, nachdem sie erstaunt festgestellt hatte, dass ihr Wissen kirchlicher oder politischer Art beklagenswert lückenhaft war.
Dass sie eine Kirche besucht hatte, lag Wochen zurück. Die Tamara zählten zu den Stämmen, die sich dem Christentum zugewandt hatten, aber sie beteten auch zu heiligen Wesen, von denen nur sie wussten, und verehrten die Geister ihrer Verstorbenen. Leena hatte Aliza die christliche Lehre nach bestem Wissen und Gewissen vermittelt, aber nur selten fand sich ein aufgeschlossener Priester bereit, auch den Fahrenden die Sakramente zu spenden. Regelmäßige Messen und der Gang zur Beichte waren Aliza daher fremd.
»Wolltest du etwa fliehen? Du weißt, dass das gefährlich wäre für deine Sippe und du nur sicher bist im Schutz der Königin.«
Rupert war halb hinter Aliza getreten und hielt sie jetzt an den Schultern.
»Das braucht Ihr mir nicht zu sagen. Die Herzogin versäumt es nie, mich darauf hinzuweisen, dass sie mich und meine Familie in ihrer Gewalt hat. Es war nur …«
Sie bemerkte, dass sie noch immer den Eimer trug. Sie stellte ihn ab.
»Ich wollte einfach einmal für mich sein. Ihr wisst nicht, wie widerwärtig es ist, täglich jemanden zu hintergehen, der es gut mit einem meint. Es macht mich krank, Euer
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