Der Blutkelch
zu Brehon Aillín hinüber und sprach leise mit ihm. Er nickte bedächtig, und sie kehrte an ihren Platz zurück. Als er das Wort nahm, wurde es still im Saal.
»Es mag durchaus entlastende Umstände geben, Seachlann. Aber wir können hier kein Urteil fällen, denn die Gesetzeslage musst du mit dem Obersten Brehon von Laighin und deinem König klären. Die Sachlage ist einleuchtend. Glassán wurde von ihnen verurteilt, und er zahlte die Strafe, die ihm auferlegt wurde. Rein formal gesehen, war er daraufhin dem Gesetz nach ein freier Mann und genoss den Schutz der Freiheit. Mein Rat an meinen König« – und er blickte zu Colgú – »ist der: du und Saor, ihr werdet eurem König in Laighin übergeben, und es liegt bei ihm und seinem Obersten Brehon, über euren Fall zu befinden.«
Seachlann erwies auch jetzt mit einer leichten Verbeugung dem Brehon seine Hochachtung und lächelte dabei verbindlich.
»Ich nehme voller Zufriedenheit den Vorschlag an. Unser Hauptanliegen hier ist erfüllt, und ich bin bereit, für alle meine Handlungen einzustehen.« Er sah zu Saor hinüber, der leicht nickte. »Mein Gefährte schließt sich dem an.«
Colgú beugte sich zu Brehon Aillín, und man sah die beiden miteinander flüstern. Dann wandte sich der Richter an Seachlann und Saor.
»Meine Empfehlung hat Zustimmung erfahren. Sobald die Verhandlungen hier vorüber sind und ein Bericht geschrieben worden ist, werden euch zwei Krieger des Königs nach Ferna begleiten, wo sich der König von Laighin des Falles annehmenwird. Da sowohl die Opfer als auch die Täter Angehörige des Königreichs Laighin sind, unterstehen sie nicht unserer Rechtsprechung und werden an das Gericht von Laighin verwiesen.«
Erneut blickte Seachlann zu Saor und lächelte ihm ermutigend zu, bevor er sich setzte.
Brehon Aillín lehnte sich zurück und fragte Fidelma: »Bist du bereit, in deinen Darlegungen fortzufahren?«
Fidelma gönnte sich ein kurzes Schweigen, denn sie mochte ein wenig Dramatik. Eadulf sah sie aufmunternd an.
»Ja. Ich bin bereit, zu dem Fall des Mordes an Bruder Donnchad überzugehen.«
KAPITEL 21
»Bruder Donnchad war das Opfer maßloser Tugendhaftigkeit, oder sollte ich besser sagen, von Unduldsamkeit, bemäntelt als Tugendhaftigkeit«, begann Fidelma ihre Darlegung. »Er war ein bedeutender Gelehrter; hätte er länger gelebt, hätte man ihn zu den größten Gelehrten der fünf Königreiche gezählt.«
»Sein Name wird in diesem Licht erstrahlen«, erklang Lady Eithnes Herrscherstimme. »Zu diesem Zweck habe ich den Neubau der Abtei bewilligt. Die aus Stein errichteten Bauwerke werden die Erinnerung an ihn als einen großen Lehrer des Glaubens verewigen.«
Fidelma wartete, bis die gemurmelten Beifallsbezeugungen erstarben. Ohne Lady Eithne anzuschauen, sagte sie laut: »Hätte er wirklich gewollt, dass man sich seiner auf diese Weise erinnerte?«
Unter den Brüdern der Gemeinschaft griff Unruhe um sich.
»Nichts geht über die Wahrheit, und sie wird obsiegen. Gehen wir also der Wahrheit auf den Grund. Eine Zeitlang war mir das Motiv unklar, dessentwegen Bruder Donnchad ermordet wurde. Ohne ein Tatmotiv aber konnte ich nicht die Schuld des Täters beweisen. Schließlich gelang es mir, das Motiv zu enträtseln.«
Jedermann hing an ihren Lippen, beugte sich in gespannter Erwartung auf seinem Sitz vor.
»Der Grund, weshalb er getötet wurde, war der, dass er seinen Glauben verloren hatte.«
Sofort brach ein Sturm der Entrüstung los. Lady Eithne kreischte voller Empörung auf, doch ihre Worte gingen in dem allgemeinen Lärm unter. Abt Iarnla schien sprachlos vor Entsetzen, und Bruder Lugnas Gesichtszüge verzerrten sich zu einer Maske bleicher Wut.
»Bruder Donnchad war ein bedeutender Verfechter des Glaubens, das ist weithin bekannt und völlig unbestritten«, ermahnte Brehon Aillín die Anwältin. »Daher kann ich eine solche Feststellung in diesem Gerichtshof nicht zulassen.«
Selbst Abt Ségdae war betroffen von Fidelmas Behauptung.
»Du kannst meine Feststellung zulassen, denn ich kann sie beweisen«, verteidigte sie sich.
»Für mich gilt der Beweis, wie wir ihn kennen. Bruder Donnchads umfassende Gelehrsamkeit und die ihm deshalb gezollte Ehrerbietung und seine uns bekannten Schriften über den Glauben stellen einen allseits anerkannten Beweis dar. Seine Ansichten gelten in diesem Gerichtsverfahren als bereits bewiesen und damit als Grundvoraussetzung, als
fásach,
die nicht angezweifelt werden kann.«
Eadulf
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