Der Blutkelch
entspannt die Landschaft. Die Straße verlief in Richtung Süden zu den Gebirgszügen, die sich in der Ferne als ein Riegel zwischen der Ebene von Cashel und der Abtei von Lios Mór erhoben. Sie kamen an mehreren verlassenen Burgen vorbei, die einst die alte Heerstraße bewacht hatten. Jede hatte einen Namen, zum Beispiel Schwarzdorn
rath
oder Aongus’
rath
. Die für Eadulfs Begriffe erhabenste Burg stand auf dem großen Rafon-Berg. Fidelma hatte sie ihm wiederholt gezeigt, wenn sie hier vorbeigezogen waren, und hatte es mit einem gewissen Stolz getan. Wie sie ihm erzählte, war die Burg früher der Sitz der Eóghanacht-Könige von Muman gewesen, der Ort, wo sie ehemals feierlich in ihr Amt eingeführt wurden und den Eid auf das Königtum leisteten. Später dann wurde Cashel die Hauptstadt.
Abwechselnd im Trott oder Galopp kamen sie in der Ebene gut voran und erreichten bald die Ufer des breiten Flusses Siúir, wo um die alte Burg herum, die zu Recht Cathair, das Steinfort, hieß, eine Siedlung entstanden war. Eadulf erinnerte sich, dass er und Fidelma unmittelbar südlich davon, wo steil aufragende Kalksteinfelsen den Fluss einzwängten, auf dem Rückweg aus dem fernen Westen einst Schutz in den Höhlen gesucht hatten. Er hatte sich damals große Sorgen um Fidelmas Zustand gemacht, die nach der Geburt des kleinen Alchú unter depressiven Stimmungen litt. An dieser Stelle bog die alte Straße leicht nach Südosten ab und führte an den Ufern des Siúir in die entlegenen Berge. Sie hatten den Fluss zu ihrer Rechten, folgten dann der alten Straße durch flaches, von Ackerbau genutztes Land, machten einen Bogen nach Südwesten undgelangten wieder an den Siúir. Die Stunden vergingen, und bis auf eine gelegentliche Bemerkung über die Landschaft, durch die sie zogen, fiel kaum ein Wort.
Es war Zeit, zu rasten, etwas zu essen und die Pferde zu tränken. Sie befanden sich in dem Gebiet, das von Rath Ard beherrscht wurde, einer Burganlage der mächtigen Adligen von Múscraige Breogáin. Gormán erkundigte sich, ob Fidelma die Absicht hätte, die Gastfreundschaft der Burg in Anspruch zu nehmen. Doch Fidelma wollte möglichst schnell weiter und sich nicht auf die zeitaufwendigen Gepflogenheiten der Gastlichkeit einlassen, die man ihnen unweigerlich aufzwingen würde. Es hätte leicht einen Tag Verzug bedeutet. Aus dem gleichen Grund wollte sie auch nicht an der nahe gelegenen Abtei haltmachen, die Fionán der Aussätzige an den Ufern des Siúir gegründet hatte und die nach ihrem Begründer den Namen Fionáns Höhe trug.
Die Abtei stand an einer natürlichen Furt durch den Fluss und war von einer kleinen Ansiedlung umgeben. Sie lag günstig, schmiegte sich in eine liebliche Landschaft und bot Reisenden angenehmen Zwischenaufenthalt. Das waren im Wesentlichen Händler, die flussaufwärts kamen und ihre Waren auf kleineren Barken verstauten oder Lasttiere beluden, um dann zu den schwerer zugänglichen Gebieten des Königreiches weiterzuziehen. Nur war die Furt immer ein Problem gewesen, denn die Strömungen dort waren verhältnismäßig stark. Die Abtei sorgte stets für einen Furtwächter, um zu gewährleisten, dass kein Unfall unbeachtet blieb. Um im Notfall nach Hilfe zu rufen, hing eine Glocke bereit. Doch als Fidelma und Eadulf um die Mauern der Abtei herumritten, sahen sie zu ihrer Verwunderung eine neue Brücke, die den Fluss überspannte, das Bauholz noch so gut wie frisch.
»Es gibt sie erst seit kurzem«, erläuterte Gormán. »Die Mitglieder der Klostergemeinde haben sie gebaut.«
An Fidelma ging die Bemerkung vorbei, sie war mit anderen Gedanken beschäftigt. Genau hier hatten sie und Eadulf einst erfahren, dass Uaman der Aussätzige, der gefürchtete Herr über die Gebirgspässe von Sliabh Mis, ihre Kinderfrau Sárait ermordet und ihren Sohn Alchú entführt hatte. Gormán war damals in Sárnait verliebt gewesen, und zunächst beschuldigte man ihn, sie ermordet zu haben. Besorgt warf Fidelma einen Seitenblick auf Gormán, doch er schien den Flecken hier nicht mit dem Vorfall zu verbinden. Ob Eadulf sich daran erinnerte und etwas sagen würde? Zumindest ließ er sich nichts anmerken.
Unmittelbar an der neuen Brücke befand sich eine Gastschenke. Gormán räusperte sich vernehmlich. Zwar wusste er, dass Fidelma vorwärts strebte, aber sie waren nun schon viele Stunden unterwegs.
Fidelma verstand den Hinweis. Die Pferde mussten getränkt werden. Dennoch wollte sie nur eine kurze Pause einlegen, gerade
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