Der Blutkelch
zurücknehmen, und ich werde nach Cashel zurückkehren und dem König und seinen Ratgebern von dieser Brüskierung berichten.«
Aus dem Gesicht des Abts schien alles Blut gewichen; wie hypnotisiert saß er neben dem sich hoch reckenden Lugna, als wäre er bei dem Schauspiel nur stummer Zuhörer. »Es gibt Regeln in dieser Abtei …«, begann Bruder Lugna erneut.
»Regeln gibt es überall«, fiel sie ihm ins Wort. »Üblicher weise sind es Regeln, denen die Gemeinschaft, in der sie gelten sollen, zugestimmt hat, aber nicht solche, die ihr aufgezwungen werden.«
»Um die Vorschriften geht es … hinsichtlich der Kleidung, an die sich Mönche und Nonnen zu halten haben«, keuchte Bruder Lugna wütend. »Dass du unser
refectorium
in solchen Kleidern betrittst … in so einem Aufzug …« Ihm fehlten die Worte vor Erregung.
»Willst du mein Gewand bemängeln, das mich auszeichnet als Schwester deines Königs und als eine
dálaigh
?«, fragte Fidelma und gab sich den Anschein, als bedenke sie seine Äußerung.
»Ich bemängele es, weil du Angehörige einer klösterlichen Gemeinschaft und den Edikten des Glaubens verpflichtet bist …«
»Verpflichtet, inwiefern? Ich dächte, das Edikt wäre unmissverständlich. Hat nicht ein Heiliger Vater an die Bischöfe von Vienne und Narbonne geschrieben, alle Anhänger Christi sollen sich durch Glaubenstreue und Glaubensstärke auszeichnen, aber nicht durch ihre Kleidung? Somit haben wir es vom Heiligen Vater selbst, es kommt nicht darauf an, wie sich jemand kleidet, sondern wie er sein Leben führt und zu seinem Glauben steht.«
Bruder Lugna stutzte, runzelte die Stirn und versuchte zu begreifen, wohin das wohl führen mochte.
»Welcher Heilige Vater hat dergleichen geschrieben?«, fragte er hämisch. »Nenne ihn doch!«
»Das war Coelestinus, der als Erster dieses Namens auf dem Thron des heiligen Petrus saß«, erwiderte Fidelma in aller Unschuld. Nur Eadulf bemerkte, wie scheinheilig sie das sagte.
»Coelestinus?« Bruder Lugna stieß den Namen wie ein Schimpfwort hervor. »Coelestinus war doch nichts weiter als …«, er suchte nach einem Ausdruck und fing von neuem an, »… hat dem Stuhl Petri keine Ehre gemacht. Hätte nicht das Ränke schmiedende Weib darauf gedrungen, diese Kaiserin Galla Placida, wäre er nie zum Bischof von Rom gewählt worden. Viele, die dem wahren Glauben anhingen, hat er verfolgt, nur weil ihre Ansichten von seinen abwichen.«
Im
refectorium
war es still geworden. Die Brüder warteten gespannt, welche Wendung der Streit nehmen würde.
»Ich weiß sehr wohl, wer in seinen Augen ein Abtrünniger vom Glauben war«, entgegnete Fidelma beherrscht.»Und diejenigen, die er für Ketzer hielt, werden auch vom Heiligen Vater im Rom unserer Tage für Ketzer gehalten.«
Bruder Lugna ließ sich auf seinen Sitz fallen. Er schloss den Mund, war deutlich im Widerstreit mit seinen Gefühlen, doch behielt Ärger die Oberhand. Im Saal breitete sich Gemurmel aus. Die Brüder hatten zwar begriffen, dass Fidelma den Verwalter in die Schranken gewiesen hatte, waren sich aber nicht im Klaren, womit sie das erreicht hatte.
Abt Iarnla nutzte die Gelegenheit, stand auf und stieß mit seinem Amtsstab auf den Boden. Mit dem Ruf
»Tacete!«
befahl er allen zu schweigen. »Wir sind hier im
prainntech
« – er wurde rot, warf einen Blick auf seinen Verwalter und berichtigte sich –, »im
refectorium
, in dem wir uns versammeln, um unseren Leib zu ernähren, wie wir uns in der Kapelle versammeln, um unsere Seele zu erfrischen. Dies ist nicht der Ort, an dem über Glaubensfragen gestritten wird.«
Fidelma war nicht gewillt, sich zufriedenzugeben. »In Anbetracht des Vorwurfs, den dein Verwalter geäußert hat, frage ich, bleibt dein Ersuchen, das du meinem Bruder, dem König, gesandt hast, weiterhin gültig, oder wünschst du meine Rückkehr nach Cashel?«
Der Abt warf Bruder Lugna erneut einen Blick zu, ehe er antwortete: »Fidelma von Cashel, du und deine Begleiter sind Gäste hier auf meine Einladung als Abt, und das aufgrund meines dringlichen Ersuchens an deinen Bruder, den König, und seine Ratgeber. Nimm bitte Platz mit deinen Begleitern, doch möchte ich dir nahelegen, sich in Zukunft den in unserer Gemeinschaft geltenden Regeln möglichst anzubequemen.«
Würdevoll verneigte sich Fidelma vor dem Abt. »Ich will mich bemühen, so gut ich kann, mich den von deinem Verwalter aufgestellten Regeln anzubequemen«, sagte sie harmlos,wählte aber ihre Worte mit
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