Der Blutkristall
Aschenputtel der jahreszeitlichen Quadriga gefror.
Sie schüttelte den Kopf. Was war nur in sie gefahren, in dieser Situation romantische Wintergedanken zu entwickeln? Verwirrt wandte sie sich Cyron zu, doch bevor sie etwas sagen konnte, hob er seine Hand und selbst die Melodie ihres Atems verstummte. Zwei Eisfeen erschienen wie aus dem Nichts. Eine trug ein silbernes Gefäß in beiden Händen, die andere hielt in derselben Manier einen Dolch. Ohne zu wissen warum, trat Vivianne vor. Obwohl sie sicher war, dass sich Morgan nicht so einfach manipulieren lassen würde, tat er es ihr gleich. Gemeinsam knieten sie vor dem Eisblock, der ihnen nun wie ein Altar erschien, auf dem Salai inzwischen lang ausgestreckt und regungslos lag. Vivianne unterdrückte ein hysterisches Kichern. Es schien ihr ein wenig, als empfinge sie gleich die heiligen Sakramente aus dem Blut des gefrorenen Elfs und danach würde sie die Ehe mit Morgan eingehen. Anstelle des erwarteten Widerwillens fand sie diese Vorstellung nicht einmal so unangenehm. Sicherheitshalber sah sie kurz zur Seite in sein nun wieder ausdrucksloses Gesicht. Natürlich würde nichts dergleichen geschehen. Welch absurde Vorstellung, zwei Vampire, die von einem Eisprinzen getraut wurden. Jetzt kicherte sie doch und bereute es sogleich, weil die Kreatur aus der Atemwolke ihr in die Nase biss, bevor sie mit einer zarten Melodie explodierte und winzige Kristalle in alle Himmelsrichtungen zerstoben. Vivianne fragte sich, was mit diesen Wesen geschah. Ob sie sich irgendwo sammelten und zu den eisigen Skulpturen wurden, die sie vorhin bewundert hatte, oder stiegen sie auf und fanden sich zusammen, um eines Tages als Schneeflocken zurück zur Erde zu schweben?
Ein Laut riss sie aus ihrer Betrachtung und fasziniert beobachtete sie die Eleganz der Feen. Erst trat die eine, dann die andere vor und gemeinsam schwebten sie ihr entgegen, bis Vivianne, die immer noch kniete und auch nicht in der Lage war aufzustehen, etwas mulmig wurde. Beide Feen blieben vor ihr stehen, ein ausdrucksloses Lächeln auf den weißen Lippen. Cyron erschien in Viviannes Gesichtsfeld, griff nach ihrer Hand und ein nie gekannter Schmerz fuhr durch ihren Arm. Der Elf murmelte etwas und berührte Viviannes Stirn mit seinem Daumen, sofort fühlte sie sich besser. Sie war dankbar, dass er seine Magie dafür nutzte, ihren Schmerz zu lindern. Ohne eigene Kräfte konnte sie sich selbst nicht helfen. Tränen quollen ihr aus den Augen, wo sie alsbald zu rosafarbenen Wesen wurden, hinabstürzten und auf dem Boden zersprangen. Als wäre sie nicht an den Ereignissen beteiligt, beobachtete sie, wie ihr eigenes Blut über ihre Hand, die ausgestreckten Finger entlang in die silberne Schüssel floss. Sie spürte, wie das Leben sie allmählich verließ, und obwohl jede Faser ihres Körpers schrie, sie müsse irgendetwas – egal was! – tun, ließ sie alles vollständig regungslos über sich ergehen. Entrückt verfolgte sie, wie anschließend auch Morgan seines Blutes beraubt wurde. Die Feen entschwanden mit ihrer Beute.
Cyron schritt auf und ab, sagte etwas, hob seine Hände, sprach weiter und auf einmal begann Salai vor Viviannes Augen zu schweben. Ein weißes Licht pulsierte, anfangs kaum merklich, schnell aber stärker breitete es sich aus und die Umgebung begann zu summen. Zuerst leise, doch im Einklang mit der anschwellenden Energie, die von ihm auszugehen schien, beständig lauter werdend, bis beide Vampire ihre Hände schützend über ihren Kopf legten und sich duckten, als erwarteten sie voller Angst, was als Nächstes geschehen würde. Das ohrenbetäubende Geräusch verstummte plötzlich und Vivianne, die den Grund dafür wissen wollte, blickte auf. Fasziniert beobachtete sie, wie der schwebende Salai beständig transparenter wurde.
Die Feen kamen herbei, jede von ihnen mit einem Kelch in den weißen Händen, den sie Vivianne und Morgan an die Lippen hielten. Sie roch es sofort. Blut. Nach anfänglichem Zögern trank sie einen großen Schluck, und das Blut, das über ihre ausgetrocknete Zunge lief, schmeckte köstlicher als alles, was sie jemals zuvor probiert hatte. Es schmeckte nach ungehobelter Wildheit – heiß, süß und nach Morgan. Sie hörte ihn neben sich stöhnen und entdeckte in seinem Gesicht das Spiegelbild ihres eigenen Entzückens. Hatten die Feen ihm von ihrem Blut zu trinken gegeben? Ihre Stimme funktionierte nicht, aber nach weiteren Schlucken breitete sich Morgans Lebenselixier in ihr aus,
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