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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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dir lieber?«
    »Ich komme. Allerdings verlange ich, dass meine Tür repariert wird. Sofort!«
    Sie brachte ihr hoch geschlossenes Kleid in Ordnung, das sie über der Brust geöffnet hatte, um unbeschwert atmen zu können, fuhr sich rasch mit den Händen durch das krause Haar und öffnete die Tür. Der Riese stand grinsend vor ihr, eine brennende Laterne in der Hand. Stumm deutete er auf eine andere Tür, die keine zwei Schritte von ihr entfernt war. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, schob sie sich an ihm vorbei, klopfte kurz und betrat eine Kabine, die deutlich größer war als ihre und über zwei große Fenster verfügte, durch die sie auf die See blicken konnte. An einem wuchtigen Tisch saß Störtebeker, der sich mit einem eigenartig scheuen Lächeln erhob, um sie zu begrüßen. Ausgebreitet auf dem Tisch lag eine Seekarte, die sich nun von selbst zusammenrollte.
    »Ich bewundere Euch«, sagte der Freibeuter. »Ihr habt bemerkenswerte Arbeit an meinen Leuten geleistet. So gut sind sie noch nie behandelt worden. Und das, obwohl es an allem fehlte, um die Wunden so zu versorgen, wie es ein Arzt getan hätte.«
    »Mein Vater war Arzt in Hamburg. Ich habe ihm beinahe täglich bei der Arbeit geholfen und viel dabei gelernt.« Sie folgte seiner Aufforderung und setzte sich auf einen Stuhl. Als sie ihn näher an den Tisch heranrücken wollte, merkte sie, dass er am Boden festgeschraubt war.
    Ein junger Mann kam herein und brachte verschiedene Speisen, Wurst, Brot, eine Suppe und helles Fleisch, das so heiß war, dass es dampfte. Dazu ein wenig Salat.
    |324| »Ihr werdet Hunger haben. Bedient Euch.« Störtebeker setzte sich ihr gegenüber. Ihre Blicke begegneten sich, und erneut hielt sie stand. Er sollte spüren, dass sie nicht bereit war, sich ihm zu beugen. Sie hatte ihre Stärken und war sich ihrer bewusst. Dabei war er ein Mann, der sie eigenartig berührte. Es verwunderte sie nicht, dass seine Männer ihm ohne den geringsten Widerspruch gehorchten. Er hatte eine Ausstrahlung, die ihre Wirkung auch auf sie nicht verfehlte. Sie spürte, dass er ein Mann war, der in sich ruhte und den so leicht nichts von seinem Weg abbringen konnte. Dabei hatte sein Antlitz durchaus feine Züge, die ein gewisses Einfühlungsvermögen erkennen ließen.
    Sie hatte sich ihn ganz anders vorgestellt. Wann immer in ihren Kreisen von Claas Störtebeker die Rede gewesen war, hatte sie das Bild eines harten, brutalen Mannes vor sich gesehen, eines Haudegens und in jeder Hinsicht rücksichtslosen Kämpfers, der niemandem gegenüber Gnade kannte und dessen Hände vom Blut seiner Gegner gefärbt waren. Ein Bild, das nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte. Bestimmt gab es diese gnadenlos harte Seite, bislang aber hatte sie davon wenig gespürt.
    Als er ihr die Suppe und dazu eine Serviette reichte, empfand sie seine Höflichkeit und sein tadelloses Benehmen als besonders angenehm. Jetzt konnte sie sich kaum noch vorstellen, dass dieser Kommandant seine Männer in eine Schlacht geführt hatte, bei der es um Leben und Tod gegangen war. Wäre sie verloren worden, hätte keiner der Freibeuter überlebt. Ein »Richter Gnadenlos« wie Wilham von Cronen hätte sie alle miteinander aufs Schafott geschickt.
    Sie sah sich einem Mann gegenüber, der die gepflegten Tischsitten, wie sie etwa am Hof des Grafen Pflupfennig an der Tagesordnung waren, selbstverständlich beherrschte. Störtebeker stützte sich beim Essen nicht mit dem |325| Ellenbogen auf dem Tisch ab, er schlürfte die Suppe nicht und furzte nicht. Fast schien es ihr, als habe er sich auf die »Möwe« verirrt, um nach kurzem Aufenthalt wieder von diesem Schiff und seiner Mannschaft Abschied zu nehmen und an die Tische des gehobenen Adels zurückzukehren.
    »Erzählt mir von Euch«, bat er sie.
    »Erst muss ich wissen, was Ihr mit mir vorhabt«, entgegnete sie. »Wieso bin ich auf dieses Schiff gebracht worden? Mit welcher Absicht? Zum Vergnügen Eurer Mannschaft?«
    Er schien geradezu erschrocken zu sein. »Zum Vergnügen meiner Mannschaft? Tut mir leid, wenn dieser Eindruck erweckt wurde. Nein, ganz und gar nicht. Ich hatte den Auftrag, Euch nach London zu bringen und Euch dort am Stalhof abzusetzen. Was danach geschehen sollte, weiß ich nicht.«
    »Wer hat Euch den Auftrag gegeben?«
    Er lächelte, reichte ihr etwas Brot und zuckte bedauernd mit den Achseln.
    »Verschwiegenheit gehört zu meinem Geschäft. Ihr könnt nicht erwarten, dass ich die Verbindungen aufdecke, die ich habe. Damit

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