Der Blutrichter
vereinzelt Blitze herabzuckten.
Johannes verfiel in Schweigen, und Hinrik hing seinen Gedanken nach. Er bereitete sich innerlich auf den Kampf vor und schwor sich, dabei alles zu geben, was er gelernt hatte. Und falls es nötig war, sich in den Kampf zu stürzen, um Christian eine neue Waffe zu reichen, würde er es tun. Er fragte sich allerdings, über welche Waffen ihre Gegner wohl verfügten. Vielleicht hatte der eine oder andere sogar schon eines der Faustrohre, von denen in letzter Zeit erzählt wurde. Hinrik war sich nicht sicher, ob es diese Waffe tatsächlich gab. Es hieß, dass sie mit einem Pulver geladen wurde, das mit einer Lunte angezündet werden musste. Es explodierte im Rohr und schleuderte |87| ein Stück Blei heraus, das danach angeblich mehr als hundert Schritte weit flog und angetan war, dem Gegner tödliche Wunden beizubringen.
Weil Christian sich mit einem Stück Speck stärken wollte, riss er Hinrik aus seinen Gedanken. Hinrik brachte ihm das Gewünschte, und der Ritter schnitt sich einige Stücke ab, um sie genüsslich zu verzehren. Sie ritten einen lang gestreckten Wall am Geestrücken hinauf. Als sie einen Eichenhain durchquert hatten, konnten sie auf das sanft abfallende Land und die sich darunter ausdehnende Marsch blicken. Auf erhöhten Warften lagen weit voneinander getrennt einige Höfe zwischen den Wiesen und den Weiden. Christian deutete auf einen der Höfe, der ihnen am nächsten war.
»Da unten sind sie«, eröffnete er seinem Knappen. »Wir können uns nicht ungesehen nähern. Aber das ist auch gar nicht nötig. Wir walzen sie nieder und werfen ihre Leichen in die Auen, damit sie mit dem Wasser in die Elbe hinausgespült werden. Die Aale sollen sie auffressen! Sie werden schön fett davon.« Er lachte siegessicher. »Ihr Knappen rückt mit den Packpferden nach. Wir wollen danach nicht lange auf das Bier warten.«
Die Ritter schwangen sich aus dem Sattel und legten ihre Rüstungen an. Christian blickte Hinrik durch das offene Visier an.
»Wir kennen diese Bande«, sagte er. »Sie verfügen über Messer, Dolche und ein paar Schwerter, ansonsten nur über Mistgabeln. Damit sind sie gegen uns so gut wie machtlos.«
Die Ritter stellten sich mit ihren Pferden nebeneinander auf. Sie verzichteten auf die Lanzen und verließen sich ganz auf ihre Schwerter, die sie zückten und quer über ihre Oberschenkel legten, um sie sofort einsetzen zu können. Auf Christians Kommando stürmten sie aus dem |88| Eichenhain hinaus, galoppierten mit ihren Pferden den Hang hinunter und jagten auf das Gehöft zu, das aus drei mit Schilf gedeckten Häusern bestand.
»Also los«, rief Johannes. »Ich will sehen, wie unsere Herren sich schlagen. Seid auf der Hut. Es könnte sein, dass das Lumpenpack auch uns angreift.«
Hinrik war aufgeregt. Mit glühenden Wangen und heftig pochendem Herzen rannte er gemeinsam mit den anderen Knappen hinter den Rittern her, das Packpferd am Zügel. Sie waren schnell, doch der Abstand zu den gepanzerten Reitern wurde rasch größer.
Auf dem Hof blies jemand ein Signalhorn, und aus allen Häusern stürmten ärmlich gekleidete Männer. Hinrik sah, wie die Bauern zu Speeren und Mistgabeln griffen, und er erwartete, dass sie sich den angreifenden Rittern entgegenwarfen. Aber die Bauern suchten ihr Heil in der Flucht. In heller Panik eilten sie davon, verschwanden hinter den Häusern, begleitet von wütend bellenden Hunden, vor denen allerlei Federvieh aufstob.
Die Ritter trieben ihre Pferde voran, galoppierten an den Häusern vorbei und folgten den Flüchtenden auf die rückwärtige Seite des Gehöfts.
»Wir laufen oben entlang«, brüllte Johannes, der das Kommando über die Knappen führte. »Hinrik – rauf auf die Warft! Von dort hast du eine bessere Übersicht. Falls wir nicht sehen, wohin wir müssen, kannst du uns Zeichen geben.«
Hinrik verstand. Er trennte sich von den anderen und führte das Packpferd den steilen Hügel hinauf, den die Bauern aufgeschichtet hatten, um vor den Fluten der Elbe sicher zu sein. Jahr für Jahr trat der Strom über die Ufer, und oft genug stand das Marschland unter Wasser so weit das Auge reichte. Gegen diese Naturgewalten konnte man sich nur schützen, indem man die Häuser auf den Warften |89| errichtete, die höher sein mussten, als die höchste Flut je steigen konnte.
Während er mit seinem Pferd an den Häusern vorbeilief, hörte er das Gefecht. Metall schlug krachend gegen Metall, Menschen schrien in höchster Not.
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