Der Blutrichter
äußern. Er war versucht gewesen, den anderen Knappen von seiner Beobachtung im Wald zu erzählen, doch nun schwor er sich, das Geheimnis für sich zu behalten. Wenn Felix den Mund hielt, obwohl er das Opfer war, dann hatte er schon gar keinen Grund, sich einzumischen. Es war klüger, zu schweigen.
Kaum hatten sich Christian, der Graf und Bruder Albrecht voneinander verabschiedet, als der Ritter den Knappen zu sich rief und ihm befahl, das Pferd zu füttern und mit Stroh abzureiben, sowie eine kleine Ration Schinken, Speck und Brot zusammenzustellen und ein Packpferd aus dem Stall zu holen. Er sprach mit den anderen Rittern, woraufhin diese ihre Knappen ebenfalls zu allerlei Vorbereitungsarbeiten anwiesen.
Während Hinrik zwei schwere Lanzen mit messerscharf geschliffenen Spitzen aus der Burg holte und gegen eine Wand lehnte, drängten sich ihm zahllose Fragen auf. Zweifellos planten die Ritter, gegen die Horde von Räubern vorzugehen, über deren ungesetzliches Treiben sich der Graf beklagt hatte. Einen echten Kampf hatte Hinrik noch nicht erlebt. Daher sah er dem Geschehen voller Spannung entgegen.
Er wollte mit den anderen Knappen sprechen, doch keiner von ihnen hatte Zeit für ihn. Alle waren damit beschäftigt, die Ausrüstung ihrer Ritter zusammenzustellen und auf den Burghof zu schleppen. Jeder Ritter wurde von zwei Pferden begleitet. Eines wurde als Packpferd genutzt, das andere war für den Knappen vorgesehen, dessen Aufgabe es war, die Ritter mit allem zu versorgen, was sie für den Kampf benötigten.
Als Hinrik die beiden schweren Kampflanzen am Sattel des Packpferdes befestigte, kam Christian bei ihm vorbei.
|85| »Sollte ich beim Kampf eine Lanze verlieren, aus welchem Grund auch immer, wirst du versuchen, mir die andere zu reichen«, forderte er in rauem Ton. »Und wenn es dich das Leben kostet. Verstanden?«
»Ja, ich habe verstanden.« Mit einem Schlag wurde ihm bewusst, dass erhebliche Gefahren auf ihn warteten. Sollte es schlecht laufen, würde er sich ins Kampfgetümmel stürzen müssen, ohne selbst kämpfen und sich verteidigen zu können. Aussichten, die ihm ganz und gar nicht behagten.
Obwohl sich Ritter und Knappen beeilten, verstrich geraume Zeit, bis der Tross endlich aufbrechen konnte. Die Ritter bildeten die Spitze. Keiner von ihnen hatte seine Rüstung angelegt. Alle hatten sie zunächst den Packpferden aufgeladen. Lediglich die Pferde waren bereits mit Metallplatten gepanzert. Die Ritter hatten ihre Schwerter angelegt, um für den Fall eines überraschenden Angriffs gewappnet zu sein.
»Bist du schon mal bei so einem Kampf dabei gewesen?«, wandte sich Hinrik an Johannes.
»Viermal«, erwiderte der untersetzte Junge und schob sein Kinn stolz nach vorn. »Jetzt wird es ernst. Es wird sich zeigen, ob du ein ganzer Kerl bist oder nicht.«
»Und was wird passieren?«
»Es ist wie bei der Übung«, entgegnete Johannes leichthin und zuckte lässig mit den Achseln. »Die Ritter brechen in die Reihen der Räuber und Bauern ein und walzen mit ihren Pferden alles nieder, was ihnen in die Quere kommt. Und wer sich dann noch wehren kann, wird mit Lanze und Schwert niedergemacht. Du wirst sehen, dieses Lumpenpack läuft wie die Hasen, aber das nützt ihnen alles nichts. Keiner wird entkommen. So ist das immer, wenn Ritter kämpfen.«
Er wurde gesprächiger und berichtete voller Eifer von |86| einigen Kämpfen bei denen er – als Nachhut – dabei gewesen war. Er sprach von »Schlachten«, obwohl die Anzahl der Kontrahenten jeweils klein und überschaubar gewesen war, doch Hinrik nahm es so hin, zumal dieses Wort wie kein anderes beschrieb, was die Menschen bei derlei Auseinandersetzungen taten. Sie schlachteten einander ab. Er empfand diese Tatsache keineswegs als abstoßend oder ungerechtfertigt, da die Ritter es mit Gesindel zu tun hatten, das wehrlose Bauern und Händler getötet und ausgeraubt hatte. Menschen, die so etwas taten, hatten nichts anderes verdient. Sie störten die allgemeine, von der Kirche geheiligte Ordnung, und um diese wiederherzustellen, war es geboten, mit aller Härte gegen sie vorzugehen.
Dunkle Regenwolken zogen von Südwesten her auf, verdrängten die Sonne immer mehr. Es begann zu tröpfeln, und über der Geest entstanden zwei Regenbogen. Während sich der eine hell und leuchtend präsentierte, bot der zweite daneben ein schwaches Bild. Er schien sich in der Höhe aufzulösen. Über der fernen Nordsee ballten sich tiefschwarze Wolken zusammen, aus denen
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