Der blutrote Kolibri
»Warum willst du nicht auf unserer Seite rasten? Warum in Feindesland?«
Vinoc drehte sich um und grinste. »Eine der wenigen Regeln der Generäle, die ich auch heute noch beherzige: Tu alles, was getan werden muss, sofort. Wenn du an eine Grenze kommst, überschreite sie gleich. Denn ein kleiner Schritt wird zu einem groÃen Problem, wenn du ihn noch vor dir hast.«
Sein Hengst watete ein Stück mit dem Strom, dann hatte er eine flache Stelle gefunden und jagte durch das Wasser, dass die Tropfen nur so um ihn stoben. Drüben wurden Reiter und Lamagua vom Grün des Dschungels verschluckt.
In gewisser Weise leuchtete Animaya Vinocs Weisheit ein, Angst hatte sie aber trotzdem. Sie stieg also wieder auf und duckte sich hinter Kapkas Hals.
»Tu mir den Gefallen und bringe uns heil rüber, ja?«
Der Hengst schnaubte zustimmend und trabte los. Ani maya versuchte sich einzubilden, dass sie nur durch eine Pfütze ritten, aber es gelang nicht. Bis zum Knie reichte sie in das Flusswasser, braune Spritzer besudelten die Ränder ihres Klei des. Kapka hatte sich eine tiefere Stelle zur Ãberquerung ausgesucht, schnaufend kämpfte er sich durch die Fluten. Animaya hielt nach den charakteristischen Wellen Ausschau, die Krokodile ankündigten.
»Weiter, weiter!«, feuerte sie Kapka an.
Der Hengst stieg mühevoll aus dem Morast ans Ufer, schüttelte sich das Fell aus und nahm die Witterung seines Stall gefährten auf. Nervös rollten seine Augen in den Höhlen. Animaya rutschte von ihm herunter und tätschelte seinen Hals.
»Alles gut, die Gefahr ist vorbei.«
Das Lamagua reckte sichtlich nervös den Kopf, es lieà sich nicht beruhigen. Hatten sie einen heimlichen Verfolger?
Animaya drückte die schüsselgroÃen Blätter einer Würgepflanze zur Seite. In einem Winkel ihres Gehirns flammte ein Funken Hoffnung auf, den Krokodilreiter wiederzusehen. Doch es war eindeutig Vinoc, der hier im Schneidersitz vor einem winzigen Feuer hockte und eine fingerlange Heuschrecke röstete. Animaya setzte sich zu ihm. Insgeheim wunderte sie sich, warum der Fluss an dieser Stelle so erbärmlich stank.
Das Erstaunlichste an der ganzen Geschichte hat Vinoc nur am Rande erwähnt, dachte Animaya und jagte eine surrende Fliege aus ihrem Gesicht. Wisya hatte sich ihren Mann selbst ausgewählt!
So etwas erträumte sie sich auch für ihr Leben. Aber egal wie angestrengt sie auch nachdachte, ihr fiel kein Junge ein, der dafür infrage kam. Zumindest keiner aus ihrem eigenen Volk â¦
Vinoc setzte den Flaschenkürbis an den Mund und trank in groÃen Schlucken. AnschlieÃend wischte er sich den Mund ab und verschwand grinsend im Gebüsch. Schon kurz darauf kam er taumelnd und mit aschfahlem Gesicht zurück.
Als Animaya an ihm vorbeirennen wollte, um nachzusehen, was ihn so geschockt hatte, hielt er sie mit dem Arm auf.
»Nicht â¦Â«, sagte er mit matter Stimme.
Doch sie entwand sich seinem Griff und durchbrach den Farn. Sofort bereute sie, nicht auf Vinoc gehört zu haben.
Keine zwei Lamagualängen entfernt verrotteten die Ãberbleibsel der sehnlichst erwarteten Maiskarawane in der Sonne. Animaya hatte noch nie so viele Tote auf einmal gesehen.
GOLIATH
Es war ein Anblick, wie ihn auch der schlimmste Albtraum nicht heraufbeschwören konnte. Die beiden Generäle, die den Zug begleitet hatten, lehnten mit den Rücken aneinander. Wo ihre Bäuche sein sollten, gähn ten Löcher, ausgeweidet von unbarmherzigen Aasfressern.
Dicke Insekten schwirrten um die letzten Fetzen an den Knochen, Maden wanden sich aus Ãrmeln und Hosenbeinen. Längst bohrten sich die blanken Rippen durch die Reste der aufgeschlitzten Rüstungen.
Ein Mann war mit Steinspitzen an den Stamm des höchsten Baumes genagelt worden. Nur seine Kleider hielten die Knochen noch zusammen. Den Rest hatten sich die groÃen und kleinen Waldbewohner einverleibt, die nichts von Recht und Unrecht wussten, sondern nur Hunger kannten.
Die drei waren nicht die einzigen Toten. Sie sah noch zwei andere Männer ausgestreckt auf dem Boden liegen.
Animaya merkte, wie ihr Magen rebellierte. Sie versuchte, die Fäuste zu ballen, aber ihre Finger verkrampften sich nur hilflos ineinander. Ihre Zähne mahlten unkontrolliert hin und her.
»Wer macht so was?«, fragte sie Vinoc, als er sich neben sie stellte. »Wer ist zu so etwas fähig?«
Vinoc
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