Der böse Geist vom Waisenhaus
duldet
keinen Aufschub. Tenghof-Straße 40, richtig? Wir sind in 15 Minuten bei Ihnen.“
„Ja, bitte“, erwiderte Edith,
schluchzte wieder und legte auf.
Die vier sahen sich an.
„Milliönchen, Milliönchen“,
sagte Tim. „Es stimmt also. Arme Anna! Der Vater ein Strolch, ein
gewalttätiger. Der künftige Stiefvater nicht viel besser. Und die Mutter —
beteiligt am Diebstahl? Sehen wir uns die Dame mal an.“
*
Edith Schengmann ließ die Kids
ein.
Unter normalen Umständen,
dachte Tim, wäre sie nett anzusehen. Hübsche Frau! Aber jetzt hat sie offenbar
allen Kummer der Welt. Hoffentlich hört sie auf mit dem Flennen.
Die Frau hatte rotgeweinte
Augen, auch die Nase war verquollen.
In einer Hand hielt Edith ein
Paket Papiertaschentücher, mit der andern begrüßte sie die Kids, die sich
vorstellten.
Tim äugte umher. Luxuriöse
Atmosphäre. Vielleicht hatte Wolpert nicht zum ersten Mal geklaut.
Im Wohnraum, wo man durch ein
Teppich-Meer watete, setzten sich alle; und Edith fragte, ob sie was anbieten
dürfe. Bevor Klößchen den Mund öffnete zu begeisterter Zustimmung, wehrte Tim
ab, unmißverständlich.
„Danke! Auf keinen Fall. Wir
kommen gerade vom Frühstück. Wollen Sie uns erst mal sagen, Frau Schengmann,
weshalb Sie so enttäuscht sind von Ihrem neuen Lebensgefährten?“
Diese Chance, dachte Tim, muß
ich ihr geben. Daß sie auspackt von sich aus, sich distanziert von dem
Millionendieb. Nicht leicht für eine Frau in ihrer Situation. Aber da muß sie
durch. Sonst bleibt für Anna nur das Waisenhaus.
Edith starrte lange zu Boden.
Dann glitt ihr Blick über die
Gesichter.
„Es ist verrückt. Ich kenne
euch nicht. Aber ihr seid die einzigen, mit denen ich reden kann. Sonst habe
ich niemanden. Euch vertraue ich, weil ihr euch so einsetzt für Anna.“
„Sie können uns vertrauen“,
sagte Gaby.
Edith nickte und sah wieder zu
Boden.
„Gestern“, sagte sie, „ist der Geldtransporter,
den mein Mann fährt, verunglückt: auf einer Landstraße nahe bei Pürkheim. Der
Wagen stürzte einen Hang hinab. Beide Insassen — mein Mann und sein Kollege —
waren offenbar bewußtlos. Aber mein Mann kam eher wieder zu sich und hat die
Situation ausgenutzt zu einem Diebstahl. Der Wagen war so kaputt, daß die
Fracht rausflog: zwei Geldsäcke. Mit zwei Millionen Mark. Norbert — also mein
Mann — hat die Säcke in einem Gebüsch versteckt. Heute steht in der Zeitung,
ein Unbekannter habe das Geld gestohlen — ein Unbekannter, der wohl zufällig
vorbeigekommen wäre. Das also hat Norbert der Polizei weisgemacht.“
Die Kids nickten. Keiner war
überrascht.
„Dieter — also Dieter Wolpert —
kam an der Unfallstelle vorbei. Er hatte zu tun gehabt in Pürkheim, wollte sich
dort eigentlich treffen mit Norbert zu einer Aussprache, wozu es aber nicht
gekommen ist.“
„Aha!“ nickte Tim.
„Dieter hat Norbert beobachtet,
ohne daß der ihn bemerkte. Dieter kam nach Hause und hat mir alles erzählt. Ich
dachte, er würde die Polizei verständigen. Aber er wollte was anderes. Er hatte
sich einen Plan ausgedacht, damit wir Anna bekommen. Denn freiwillig wird
Norbert sie nicht hergeben.“
Die TKKGler hörten zu ohne
Zwischenfrage.
„Dieter wollte alles
laufenlassen“, sagte Edith, „also abwarten, bis Norbert nachts das Geld abholt
und bei sich zu Hause versteckt. Dann erst wollte Dieter anonym die Polizei
verständigen. Die würde die Geldsäcke bei Norbert finden. Der käme ins
Gefängnis und Anna zu mir. Ich... war damit einverstanden.“
„Ist zwar nicht ganz korrekt“,
sagte Gaby, „aber man kann Sie verstehen.“
„Nur wegen Anna“, sagte Edith.
Die Kids nickten.
„Aber Dieter hat mich belogen.
Belogen hat er mich. Hintergangen! Mein Gott! Ich habe nur Pech mit Männern.
Immer gerate ich an solche Kerle.“
Sie schluchzte, vergrub das
Gesicht in den Händen und
Gott sei Dank! dachte Tim. Sie
hat alles offenbart. Ist keine Kriminelle. Hat sich nicht schuldig gemacht.
Anna behält ihre Mutter. Und das ist mehr als die halbe Miete.
Gaby setzte sich neben die
Frau, legte den Arm um sie.
Die Jungs waren ein bißchen
verlegen und hilflos, angesichts dieser Sintflut.
Aber Edith fing sich und konnte
weitererzählen.
„Gestern abend sagte Dieter, er
müsse zu einem Kunden. In Wahrheit ist er zu der Unfallstelle gefahren und hat
die Geldsäcke aus dem Gebüsch geholt. In aller Heimlichkeit. O ja, jetzt
durchschaue ich ihn. Den anonymen Anruf bei der Polizei hätte er
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