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Der Botschafter

Der Botschafter

Titel: Der Botschafter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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gewußt, daß Leroux manchmal Leute wie Sie operiert hat. Haben Sie ihn ermordet?«
    Delaroche gab keine Antwort.

    »Verschönert hat er Sie nicht gerade«, stellte Michael fest.
    »Sie sehen schlimm aus.«
    »Das weiß ich«, sagte Delaroche kalt, »und dafür mache ich Sie verantwortlich.«
    »Sie sind ein Mörder. Sie tun mir nicht leid, nur weil Ihre Gesichtsoperation mißglückt ist.«
    »Ich bin kein Mörder, ich bin ein Attentäter. Das ist etwas anderes. Früher habe ich für mein Land getötet, aber seit mein Land nicht mehr existiert, töte ich für Geld.«
    »Nach meinen Begriffen sind Sie damit ein Mörder.«
    »Wollen Sie etwa behaupten, in Ihrer Organisation gäbe es keine Männer dieser Art? Auch Sie haben Ihre Attentäter, Michael. Versuchen Sie also bitte nicht, aus moralisch überlegener Position zu argumentieren.«
    »Wer hat Sie für den Mord an Douglas Cannon engagiert?«
    »Wohin bringen Sie mich?«
    »An einen sicheren Ort.«
    »Doch hoffentlich nicht in ein sicheres Haus der CIA?«
    »Wer hat Sie für den Mord an Douglas Cannon engagiert?«
    Delaroche sah eine Weile aus seinem Fenster, dann holte er tief Luft, als wolle er tauchen und lange unter Wasser bleiben.
    »Am besten fange ich wohl von vorn an«, meinte Delaroche schließlich. Er wandte sich vom Fenster ab und sah zu Michael hinüber. »Seien Sie geduldig, dann erfahren Sie alles, was Sie wissen wollen.«
    Delaroche sprach, als erzähle er das Leben eines Fremden, nicht sein eigenes. Fehlte ihm einmal der richtige Ausdruck im Englischen, wechselte er in eine der anderen Sprachen über, die Michael wie er beherrschte: Spanisch, Italienisch oder Arabisch.
    Vor kaum zwei Stunden hatte er kaltblütig zwei DSS-Agenten ermordet, aber soweit Michael das beurteilen konnte, litt er unter keinen Nachwirkungen dieser Morde. Michael hatte erst einen Mann getötet - einen Terroristen des Schwerts von Gaza auf dem Flughafen Heathrow - und war danach wochenlang von Alpträumen heimgesucht worden.
    Er erzählte Michael von dem Mann, den er nur als Wladimir gekannt hatte. Sie hatten in Moskau in einer geräumigen KGB-Wohnung gelebt und fürs Wochenende und Ferienaufenthalte eine hübsche Datscha unweit der Stadt zur Verfügung gehabt.
    Delaroche wurde damals mit seinem Taufnamen Nikolai und seinem Vatersnamen Michailowitsch angesprochen. Er durfte keinerlei Kontakte zu anderen Kindern haben. Er ging nicht in die normalen staatlichen Schulen; er gehörte keinem Sportverein und keiner der Jugendorganisationen der Partei an. Er durfte die Wohnung nie ohne Begleitung Wladimirs verlassen. War Wladimir einmal krank oder zu müde, schickte er einen finsteren Schläger namens Boris mit, der den Jungen begleitete.
    Schon frühzeitig begann Wladimir, ihn Sprachen zu lehren.
    Eine weitere Sprache zu beherrschen, heißt eine weitere Seele zu haben, pflegte Wladimir zu sagen. Und in dem Leben, das du führen wirst, Nikolai Michailowitsch, wirst du in der Tat viele Seelen brauchen.  
    Während Delaroche das sagte, zog er die Schultern hoch und legte sein Gesicht in Falten, so daß er wie ein alter Mann aussah. Michael, der ihn beobachtete, staunte über die Leichtigkeit, mit der er sich in einen anderen Menschen verwandelte. Als er mit Wladimirs Stimme sprach, klang sein Tonfall erstmals russisch.
    Manchmal sei ein großer, mürrischer Mann, der Anzüge aus dem Westen trug und Westzigaretten rauchte, auf Besuch gekommen, berichtete Delaroche weiter. Er begutachtete den Jungen wie ein Bildhauer ein im Entstehen begriffenes Werk.
    Erst viele Jahre später erfuhr Delaroche, wer der große Mann gewesen war: Michail Woronstow, Leiter der Ersten Hauptabteilung des KGB und sein Vater.
    Im August 1968 wurde er als Sechzehnjähriger in den Westen geschickt. Er flüchtete als angebliches Kind tschechischer Dissidenten aus der Tschechoslowakei nach Österreich. Nach einiger Zeit in österreichischen Auffanglagern gelangte er nach Paris, wo er als obdachloser Straßenjunge hauste, bis die Kirche sich seiner annahm.
    In Paris entdeckte er sein Talent für die Malerei. Wladimir hatte nie zugelassen, daß der Junge sich mit etwas anderem als Sprachen und den für seinen zukünftigen Beruf nötigen Fertigkeiten beschäftigte. Für frivolen Zeitvertreib bleibt keine Zeit, Nikolai Michailowitsch, pflegte der Alte zu sagen. Es ist ein Wettlauf gegen die Uhr. Aber in Paris verbrachte Delaroche seine Nachmittage in den Museen, wo er die Werke großer Meister studierte. Er besuchte

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