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Der Botschafter

Der Botschafter

Titel: Der Botschafter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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der leichte Wagen mit ausgespannten Pferden auf der Wiese daneben. Sie faßte nach dem Rahmen und zog daran. Der Rembrandt ließ sich an seinem Scharnier zur Seite klappen und gab den dahinter verborgenen kleinen Wandsafe frei.
    Ihre Finger bedienten die Einstellräder so automatisch, daß ihre Augen die Zahlen kaum wahrnahmen. Sekunden später war der Safe offen. Sie nahm einige Gegenstände heraus: einen großen Umschlag mit hunderttausend Dollar in bar, drei auf verschiedene Namen lautende gefälschte Reisepässe dreier Staaten und ein halbes Dutzend auf diese Namen ausgestellte Kreditkarten.
    Und zum Schluß eine Browning-Pistole, Monicas Dienstwaffe.
    Vielleicht bietet sich Ihnen eine Gelegenheit, diese Sache selbst aus der Welt zu schaffen.
    Monica zog sich um und vertauschte ihr Chanelkostüm gegen Jeans und einen Pullover. Die Gegenstände aus dem Safe kamen in ihre schwarze Umhängetasche. Zuletzt packte sie eine kleine Reisetasche mit allem, was sie für eine Übernachtung brauchte.

    Sie nahm die schwarze Tasche über die Schulter, griff hinein und umfaßte den Griff des Browning; wie alle CIA-Angehörigen hatte sie eine Schießausbildung erhalten. Draußen auf dem Flur wartete einer ihrer Leibwächter.
    »Guten Abend, Direktor Tyler.«
    »Guten Abend, Ted.«
    »Zurück in die Zentrale, Direktor?«
    »Nein, zum Hubschrauberlandeplatz.«
    »Zum Hubschrauberlandeplatz? Uns hat niemand gesagt, daß Sie heute noch ...«
    »Schon in Ordnung, Ted«, unterbrach sie ihn gelassen. »Das ist eine private Sache.«
    Der Sicherheitsbeamte musterte sie prüfend. »Ist irgendwas nicht in Ordnung, Direktor Tyler?«
    »Nein, Ted, alles ist bestens.«

43 
    SHELTER ISLAND, NEW YORK
     
    Michael Osbourne hielt nervös auf dem Rasen Wache. Er trank Adrian Carters miserablen Kaffee und rauchte seine eigenen miserablen Zigaretten, während er auf und ab marschierte. Gott, heute nacht ist's wirklich verdammt kalt!
    dachte er. Er sah erneut nach Westen, wo Monica herkommen mußte, aber dort waren nur eine bleiche schmale Mondsichel und zahllose flimmernde Sterne zu sehen.
    Michael sah auf seine Armbanduhr: 21.58 Uhr. Monica kommt eben nie pünktlich, dachte er. »Monica kommt noch zu ihrer eigenen Beerdigung zehn Minuten zu spät«, hatte Carter einmal gewitzelt, als sie in Monicas Vorzimmer hatten warten müssen. Vielleicht kommt sie überhaupt nicht, sagte er sich, oder vielleicht hoffe ich nur, daß sie nicht aufkreuzt. Vielleicht hatte Adrian recht. Vielleicht war es am besten, er vergaß die ganze Sache, verließ die Agency - diesmal endgültig - und blieb mit Elizabeth und den Kindern auf Shelter Island. Und was dann? Soll ich mich bis ans Ende meiner Tage ängstlich umsehen müssen, während ich darauf warte, daß Monica und ihre Freunde einen weiteren Killer, einen weiteren Delaroche auf mich ansetzen?
    Er sah nochmals auf seine Armbanduhr. Früher hatte die Uhr seinem Vater gehört: ein deutsches Fabrikat, groß wie ein Silberdollar, wasserdicht, staubdicht, stoßfest, kinderfest und schwach leuchtend. Ideal für einen Spion. Diese Uhr war das einzige Erbstück, das Michael nach dem Tod seines Vaters an sich genommen hatte. Er trug sie sogar an dem originalen Fixoflex-Uhrenband, das in der Haut seines Handgelenks kleine rechteckige Vertiefungen zurückließ. Manchmal sah er auf die Uhr und stellte sich vor, wie sein Vater in Moskau, Rom, Wien oder Beirut auf einen Agenten gewartet hatte. Er fragte sich, was sein Vater von dieser Sache gehalten hätte. Er hat mir früher nie erzählt, was er denkt, sagte Michael sich. Warum sollte sich das  geändert haben?
    Er hörte ein dumpfes Wummern, das von einem anfliegenden Hubschrauber hätte stammen können, aber es kam aus dem Nachtclub in Greenport jenseits des Wassers, in dem die Band ein weiteres gräßliches Stück begann. Michael dachte an sein zusammengewürfeltes Einsatzteam: Jean-Paul Delaroche, sein Feind, sein lebender Beweis für Monica Tylers Verrat, der darauf wartete, auf die Bühne gerufen zu werden, um danach sofort wieder abzutreten. Tom Moore, der im Gästehaus vor seinen Monitoren saß und nicht ahnte, daß ihn der Schock seines Lebens erwartete. Adrian Carter, der ruhelos hinter ihm auf und ab ging, eine Zigarette nach der anderen von ihm schnorrte und sich wünschte, er wäre woanders.
    Michael hörte das Knattern der Hubschrauberrotoren, bevor die Maschine in Sicht kam. Einen Augenblick lang glaubte er, es kämen zwei, drei oder sogar vier Hubschrauber.

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