Der Botschafter
fast unmöglich gewesen wäre, hatte Michael als NOC gearbeitet - unter »nonofficial cover«, das heißt ohne Legende. Er gab sich als Repräsentant einer Firma aus, die Computersoftware entwickelte und verkaufte. Sie war eine CIA-Tarnfirma, aber dieser Job verschaffte Michael die Möglichkeit, durch Europa und den Nahen Osten zu reisen, ohne Verdacht zu erregen.
Adrian Carter, Michaels Führungsoffizier, pflegte zu sagen, wenn je ein Mann zum Spion geboren und erzogen worden sei, dann sei das Michael Osbourne. Sein Vater hatte im Zweiten Weltkrieg beim OSS gearbeitet und war nach dem Krieg in die Nachfolgeorganisation CIA übergewechselt. Michael und seine Mutter Alexandra hatten ihn von einem Dienstort zum anderen begleitet - Rom, Beirut, Athen, Belgrad und Madrid -, wenn er nicht manchmal kurzzeitig in der Zentrale gearbeitet hatte.
Während sein Vater russische Spione führte, hatten Michael und seine Mutter fremde Sprachen und Kulturen in sich aufgesogen.
Mit seinem dunklen Teint und dem schwarzen Haar konnte Michael sich als Italiener oder Spanier, notfalls sogar als Libanese ausgeben. In Cafes und auf Märkten hatte er sich oft selbst auf die Probe gestellt, nur um zu sehen, wie lange er als Einheimischer durchgehen konnte. Er sprach italienisch mit römischem Tonfall und spanisch wie ein Madrilene. Griechisch fiel ihm ziemlich schwer, aber arabisch sprach er zuletzt so fließend, daß die Händler im Beiruter Suk ihn für einen Libanesen hielten und nicht übers Ohr hauten.
Die Limousine hielt vor seinem Hotel. Michael entlohnte den Fahrer und stieg aus. In diesem kleinen Hotel gab es weder Portier noch Empfangschef-nur eine hübsche Polin hinter einer Eichentheke mit den Zimmerschlüsseln an Haken hinter sich.
Michael trug sich ins Gästebuch ein und bat darum, um zwei Uhr geweckt zu werden.
Auch im Ruhestand hatte Michael seine gesunde professionelle Paranoia keineswegs verloren. Er durchsuchte fünf Minuten lang das Zimmer, drehte Lampen um, öffnete Schranktüren, zerlegte das Telefon und setzte es dann sorgfältig wieder zusammen. Dieses Ritual hatte er schon in tausend Hotelzimmern in hundert Städten absolviert. Aber nur einmal hatte er tatsächlich eine Wanze entdeckt: ein Museumsstück aus sowjetischer Produktion, das in seinem Hotelzimmer in Damaskus primitiv am Telefon angebracht gewesen war.
Seine Suche blieb ergebnislos. Michael schaltete den Fernseher ein, um sich die BBC-Morgennachrichten anzusehen.
Mr. Mowlam, die Staatssekretärin für Nordirland, hat versichert, man werde niemals zulassen, daß die Ulster Freedom Brigade, die neue protestantische paramilitärische Gruppe, das Karfreitagsabkommen torpediere. Sie hat an Ronnie Flanagan, den Chief Constable der RUC, appelliert, seine Anstrengungen bei der Fahndung nach den Anführern dieser Gruppe zu verdoppeln ...
Michael schaltete den Fernseher aus und legte sich ins Bett, ohne die Sachen auszuziehen, die er im Flugzeug getragen hatte. Er schlief unruhig, kämpfte mit seiner Decke und schwitzte in seinen zu warmen Sachen, bis das Telefon ohrenbetäubend laut schrillte. Einen Augenblick lang glaubte er sich hinter den Eisernen Vorhang verschleppt, aber am Apparat war nur die strohblonde Polin, die ihm freundlich mitteilte, es sei jetzt zwei Uhr.
Er bestellte Kaffee, duschte und zog Jeans, Slipper, einen schwarzen Rollkragenpullover und seinen blauen Blazer an.
Dann hängte er das Schild BITTE NICHT STÖREN an den Türknopf und steckte ein winziges Stück Papier in den Türspalt, das herunterfallen würde, falls die Zimmertür geöffnet wurde.
Der Himmel war bleigrau, und ein kalter Wind heulte durch die Bäume im Hyde Park. Er schlug seinen Mantelkragen hoch, band seinen Schal fester und schritt aus erst die Knightsbridge Street, dann die Brompton Road entlang. Schon bald entdeckte er den ersten Mann, der ihn beschattete: Stirnglatze, Mitte vierzig, Lederjacke, Stoppelbart. Anonym, durchschnittlich, in keiner Weise bedrohlich, der ideale Typ für Überwachungsaufträge.
In einem Café in der Brompton Road aß er ein Omelett und las den Evening Standard. In Ägypten war einer der führenden Männer der fundamentalistischen Gruppierung Hamas ermordet worden. Michael las die Meldung, las sie nochmals und dachte über sie nach, während er zu Harrods weiterging. Der Mann mit Stirnglatze war durch einen Kollegen abgelöst worden - der gleiche Typ, aber diesmal mit einer tannengrünen Barbour-Jacke statt einer Lederjacke. Er
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