Der Botschafter
bist noch immer von ihr besessen.«
»Nein, das bin ich nicht.«
»Du bist von der Idee besessen, ihren Tod zu rächen.«
»Das alles hat nichts mit Sarah zu tun. Es hat mit uns zu tun.
Er hat versucht, uns zu ermorden.«
»Du bist ein verdammt schlechter Lügner, Michael.«
Elizabeth drückte die Zigarette im Aschenbecher auf ihrem Nachttisch aus und blies den Rauch geräuschvoll an die Zimmerdecke. »Wie du jemals als Spion zurechtgekommen bist, ist mir unbegreiflich.«
Die Schlafzimmerfenster führten mit Blick über Dering Harbor und den Shelter-Island-Sund nach Nordwesten hinaus, so daß es am nächsten Morgen fast acht Uhr war, als sie im blassen Dämmerschein eines Wintertags aufwachten.
Die Kinder waren bereits wach, und eines von ihnen - Michael wußte nicht, welches - weinte erbärmlich. Elizabeth setzte sich ruckartig auf, schlug ihre Decke zurück und stellte die Füße auf den Boden.
Sie hatte schlecht geschlafen, weil sie wieder Alpträume gehabt hatte, und ihre Augen waren dunkel und verschwollen.
Sie verließ wortlos den Raum und ging ins Kinderzimmer.
Er blieb noch einige Minuten im Bett liegen, während nebenan ihr Gurren zu hören war, mit dem sie die Kinder beruhigte. Dann stand er auf und ging in das kleine Wohnzimmer hinüber. Douglas hatte ihnen eine Thermoskanne Kaffee hingestellt, neben der ein zusammengefaltetes Exemplar der New York Times lag. Das war an Wochenenden in Cannon Point schon immer so gewesen: Douglas stand als erster auf und kochte Kaffee für alle Gäste.
Michael goß sich einen Kaffee ein und schlug die Zeitung auf.
Nach der Ermordung Achmed Husseins waren überall auf der West Bank blutige Unruhen ausgebrochen. Die israelische Regierung drohte mit der Entsendung von Truppen in die Palästinensergebiete. Der Friedensprozeß steckte in einer schweren Krise. In Belfast war ein führender Protestant ermordet worden. Die Ulster Freedom Brigade hatte sich zu diesem Anschlag bekannt.
Eine Stunde später war Michael sehr widerwillig auf einem Wanderweg durchs Naturschutzgebiet Mashomack unterwegs.
Douglas ging auf dem schmalen Pfad voraus, der sich durch ein winterkahles Wäld chen schlängelte. Obwohl er als großer, breitschultriger Mann schlecht für Fußmärsche geeignet war, bewältigte er den über weite Strecken vereisten Pfad sehr geschickt.
Der nächtliche Regen war auf die See hinausgezogen. An dem mit Schleierwolken verhangenen Himmel stand eine blasse Sonne. In der beißenden Kälte hatte Michael das Gefühl, seine Lunge sei voller Glassplitter. Der Winter hatte die Landschaft eintönig farblos gemacht. Sie stießen auf ein halbes Dutzend Weißwedelhirsche, die auf ihren Hinterläufen stehend Baumrinden abnagten.
»Ist das nicht phantastisch?« flüsterte Douglas. Er ärgerte sich, als Michael seine Begeisterung nicht teilte. Michael hatte nur wenig Sinn für Naturschönheiten; ein malerischer Winkel in Venedig war ihm lieber als eine Bucht auf Long Island. Wälder und Wasser langweilten ihn. Menschen reizten ihn, weil er ihnen nicht traute - und sie überlisten konnte, wenn sie ihn bedrohten.
Während sie den Kieselstrand der Smith Cove entlanggingen, berichtete Michael seinem Schwiegervater ausführlich von der Ulster Freedom Brigade. Douglas Cannon ließ Michael eine Viertelstunde lang reden, ohne ihn einmal zu unterbrechen; danach löcherte er ihn zehn Minuten lang mit Fragen.
»Ich möchte eine klare Antwort, Michael. Begebe ich mich körperlich in Gefahr, wenn ich diesen Job übernehme?«
»Die Ulster Freedom Brigade hat ihre Absichten unverkennbar demonstriert. Sie will alle bestrafen, die an dem Friedensabkommen mitgewirkt haben. Nur eine der beteiligten Parteien ist bisher unbehelligt geblieben - die Amerikaner.
Weder Republikaner noch Loyalisten haben jemals absichtlich einen Amerikaner ermordet, aber die Spielregeln haben sich geändert.«
»Zwanzig Jahre Washington - und niemals eine klare Antwort von euch gottverdammten Spionen.«
Darüber mußte sogar Michael lachen. »Geheimdienstarbeit ist leider keine exakte Wissenschaft, Douglas. Alle Voraussagen basieren auf Annahmen und Vermutungen, deren Grundlage die vorhandenen Informationen sind.«
»Manchmal habe ich das Gefühl, man käme mit einer Münze, die man hochwirft, genauso weit.«
Douglas blieb stehen und wandte sich dem Meer zu. Der Wind und die Kälte hatten sein Gesicht gerötet. Das Wasser in Smith Cove glänzte wie flüssiges Blei. Auf See kämpfte eine halbleere Fähre
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