Der Bourne Verrat: Roman (German Edition)
vorsichtig und misstrauisch geworden. Sie macht aus ihrem Leben ein einziges Geheimnis.«
»Und das finden Sie natürlich faszinierend.«
Er lehnte sich zurück, als das Hauptgericht und die Beilagen serviert wurden. Er streute mit der Pfeffermühle etwas schwarzen Pfeffer auf das Fleisch, nahm Messer und Gabel zur Hand und begann zu schneiden. Das Fleisch war blutig, wie er es bestellt hatte. »Ich bin xenophil, mich fasziniert das andere, das Exotische, das Unbekannte.«
»Und was könnte exotischer sein als ein israelisches Supermodel?«
Er kaute langsam und gründlich. »Da würde mir schon einiges einfallen, aber ich bin ganz zufrieden mit dem, was ich habe.«
»Im Gegensatz zu meinem verstorbenen Mann.« Sie häufte ein paar Zwiebelringe auf ihr Steak und sah abrupt auf, ihr Blick wie ein Dolchstoß. »Charlie hat Ihnen von seinen Affären erzählt.«
Es war keine Frage, und Li verstand es auch nicht als solche. »Ich glaube, Charles hatte wenige Freunde und niemanden, dem er sich anvertrauen konnte«, sagte er.
»Außer Ihnen.« Sie sah ihm unverwandt in die Augen. »Das hätte eigentlich ich sein sollen.«
»Wir bekommen nicht immer, was wir wollen.« Er schob sich ein Stück Fleisch in den Mund und kaute in seiner etwas gezierten Art. »Aber wir können uns bemühen.«
»Ich frage mich, warum Charles glaubte, Ihnen alles anvertrauen zu können.«
»Das ist leicht zu beantworten«, sagte Li. »Es fällt einem oft leichter, intime Dinge einem Fremden zu erzählen.«
Doch das war nicht der Grund, das wussten sie beide. Ann hatte allmählich genug von der chinesischen Gepflogenheit, sich dem Kern der Sache auf tausend Umwegen anzunähern. Li war zwar in Amerika geboren, doch in dieser Hinsicht folgte er ganz der Tradition seiner Vorfahren. Vielleicht war es eine Taktik der Chinesen, um ihr Gegenüber zu ermüden und weichzuklopfen, bevor die eigentlichen Verhandlungen begannen.
»Ach, kommen Sie, Mr. Li. Sie und Charlie haben regelmäßig Geheimnisse ausgetauscht.«
»Ja«, räumte er ein. »Das haben wir.«
Ann war so überrascht von dem offenen Eingeständnis, dass sie kurz den Atem anhielt.
»Ihr Mann und ich hatten eine Vereinbarung, von der wir beide profitiert haben.«
Ann zuckte nicht mit der Wimper. »Ich höre.«
»Ich habe den Eindruck, Sie hören schon den ganzen Abend sehr aufmerksam zu.«
Ihr Lachen klang trocken wie Holz. »Dann verstehen wir uns ja.«
Er neigte leicht den Kopf. »Aber wir kennen einander nicht.« Die Betonung war subtil, aber klar.
»Das ist mir bewusst.« Sie lächelte, und zwar, so hoffte sie, ohne jede Arglist. »Und deshalb möchte ich Ihnen ein Geschenk machen.«
Li saß still da, sein Körper weder locker noch angespannt. Er wartete ganz einfach.
»Etwas Wertvolles, das diese Unzulänglichkeit zwischen uns beheben wird.«
Sie zog einen kleinen Umschlag aus ihrer Handtasche und hielt ihn Li hin. Er schaute ihr in die Augen, ehe sein Blick auf den Umschlag fiel.
Schließlich nahm er den Umschlag entgegen und öffnete ihn. Er schüttelte den Inhalt heraus: nur ein einziges Blatt Papier, die Kopie eines Dokuments. Wie magnetisch wurden seine Augen zu dem Siegel ganz oben auf der Seite hingezogen.
»Das ist … absurd … verrückt«, murmelte er wie zu sich selbst.
Während er die Information in sich aufnahm, trat eine Schweißperle auf seine Stirn. Schließlich blickte er zu Ann auf.
»Ihre geliebte Trisha ist nicht nur eine Schönheit, Mr. Li, sondern auch ein Biest«, bemerkte Ann. »Sie ist eine Agentin des Mossad.«
Bourne krümmte sich und folgte Nicodemo durch die offene Autotür, machte jedoch sofort wieder kehrt, um Don Fernando zu holen, der sich vom Rücksitz nach vorne kämpfte. Da seine Hände auf dem Rücken gefesselt waren, packte Bourne ihn mit den Zähnen vorne am Hemd. Dankbar für die Hilfe, schnellte sich Don Fernando mit kräftigen Beinstößen durch die Tür.
Es war dunkel unter Wasser, und die beiden Männer hielten sich Rücken an Rücken an den Händen fest, um einander nicht zu verlieren. Als sie die Oberfläche erreichten, hörten sie in der Ferne Schreie und Sirenengeheul. Bourne steuerte auf einen Brückenpfeiler zu, auf dem sich Muscheln angesiedelt hatten, mit Schalen scharf wie Rasierklingen. Bourne drückte sich mit dem Rücken an den Pfeiler und rieb seine Fesseln gegen die Muscheln, um das Plastikseil durchzuschneiden.
Don Fernando hielt sich neben ihm mit ruhigen Beinstößen über Wasser.
»Fast geschafft«,
Weitere Kostenlose Bücher