Der Bourne Verrat: Roman (German Edition)
durchzogener Hand entgegennahm, »Sie wissen sehr gut, warum ich Sie hierher eingeladen habe.«
Der alte Mann lächelte, nickte Maricruz zu und küsste sie zum Erstaunen des Generals auf beide Wangen, ehe er sich entfaltete wie ein Origami-Storch und barfuß aus dem Zimmer tappte.
Maricruz deutete auf die kleine gusseiserne Teekanne. »Trinken Sie auch eine Tasse?«
Der General nickte steif: Man sah ihm an, dass er sich in dieser Umgebung nicht wohlfühlte.
Sie nippten einige Augenblicke an ihrem Tee, bis die Stille immer angespannter wurde. »Also, wenn Sie jetzt bitte …«, begann er schließlich.
Der General war Anfang sechzig, zwei Jahrzehnte älter als Minister Ouyang. Ihre Freundschaft war aus einer sachlichen Notwendigkeit heraus entstanden. Sie verfügten beide über ein ausgeprägtes praktisches Denken, eine wichtige Eigenschaft im modernen China. Und sie hatten beide eine Vision von ihrem Land für das einundzwanzigste Jahrhundert und darüber hinaus.
Vor allem aber wussten sie um die Bedeutung neuer Energiequellen, und sie waren beide überzeugt, dass diese Quellen vor allem in Afrika zu finden waren, einem Kontinent, auf dem China nicht zuletzt dank ihrer Bemühungen immer stärker vertreten war. Es gab jedoch immer wieder Hindernisse auf ihrem Weg, sowohl für sie persönlich als auch für das Land. Eine große unmittelbare Bedrohung war der Grund, warum Maricruz ihn zu diesem Treffen gebeten hatte, und das an einem so unkonventionellen Ort, dass niemand in Peking davon Notiz nehmen würde.
»Der Grund, warum wir an diesem absolut sicheren Ort zusammengekommen sind, ist Cho Xilan«, erklärte Maricruz. Cho war der einflussreiche Parteichef von Chongqing. Cho kritisierte die wachsende chinesische Präsenz im Ausland, weil sie seiner Meinung nach die Ideologie aushöhlte. Mit »Ausland« meinte er natürlich Afrika, womit er sich klar gegen Minister Ouyang und den General stellte. Cho hielt an der alten Parteilinie fest, »nach sozialistischen Richtlinien eine Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand aufzubauen« und so die zunehmenden Unruhen zu vermeiden, wie sie in anderen Ländern auftraten, wo die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklaffte.
»Wir stehen vor einem Machtkampf, der das Land zerreißen könnte«, erklärte sie.
»Das halte ich für stark übertrieben. Wir sind hier in China.«
»Ich spüre, dass sich etwas zusammenbraut.«
»Ach ja?«, erwiderte der General mit einem herablassenden Lächeln.
»Ich komme aus einem Land, das mit dem Blut von Klassenkämpfen getränkt ist.«
Ihre Bemerkung vermochte sein spöttisches Lächeln nicht zu vertreiben. »Geht es beim Drogenhandel also letztlich darum?« Er lachte laut auf. »Klassenkampf?«
»Der Drogenhandel hier in China wurde von Ausländern begonnen und den Menschen an der Küste aufgezwungen, bis sie davon abhängig waren. Wir Mexikaner haben unseren Handel immer schon selbst kontrolliert. Wir verkaufen an Ausländer und nutzen die Erträge, um uns gegen die endlose Korruption der Behörden und der Regierung abzusichern. Unser Volk kommt aus der Armut, wir hatten nie genug zu essen, aber mit jedem Atemzug träumten wir von einem freien Leben. Jetzt sind wir frei und lassen uns die Freiheit auch nicht mehr nehmen. Können Sie das Gleiche von Ihrem Land sagen, General?«
Wang Liqun lehnte sich zurück und betrachtete dieses umwerfende Geschöpf, das ihm wie eine dunkle Göttin der Unterwelt gegenübersaß. Woher war sie gekommen?, fragte er sich. Wie hatte Minister Ouyang sie gefunden? Er und Ouyang Jidan waren Freunde, gewiss, aber Freundschaft hatte ihre Grenzen, es gab Bereiche, die tabu waren. So wusste General Wang Liqun nur sehr wenig über Maricruz, obwohl er ihr schon oft auf Feiern, offiziellen Anlässen und auch intimeren Banketten begegnet war. Dabei hatte nie das Geringste darauf hingedeutet, dass sie zu einem solchen Gespräch fähig war. Wie viel hatte Ouyang ihr von seinen Plänen erzählt? Konnte man ihr trauen? Ouyang vertraute niemandem außer dem General.
Doch nun begriff er, dass Maricruz über Ouyangs – und deshalb auch seine – Angelegenheiten im Bilde war und für seinen Freund sprach. Ouyang hatte schlauerweise seine Frau gesandt, weil es um so viel ging und überall Spione lauerten. Als Ausländerin wurde Maricruz weder von Ouyangs Kollegen noch von seinen Feinden beachtet. Der General war froh über diese Sicherheitsmaßnahme.
»Leider kann ich das von unserem Land nicht
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