Der Bourne Verrat: Roman (German Edition)
potenzielle Unruhestifter herausfinden und eliminieren, bevor sie Schaden anrichten konnten. Nachdem die Betreffenden gefeuert waren, kehrte wieder Ruhe ein. Maria-Elena war überzeugt, dass Maceo Encarnación ein Genie im Umgang mit Menschen war, nicht nur mit seinen Hausangestellten. Sie beobachtete, wie er seine Gäste behandelte – wie er manchen schmeichelte, andere erniedrigte, wie er manchen indirekt oder ganz unverhohlen drohte, je nach der Persönlichkeit der Betreffenden –, um zu bekommen, was er von ihnen wollte.
Im Prinzip geht es mir auch nicht anders , hatte sie gedacht, während sie auf dem Markt Früchte, Gemüse, Chilis, Fleisch, Schokolade und Fisch kaufte. Sie kannte alle Verkäufer, und die wiederum kannten sie und wussten natürlich, für wen sie arbeitete. Es verstand sich von selbst, dass sie immer die allerbeste Ware bekam, und das zu einem günstigeren Preis als andere Kunden. Hin und wieder gaben sie Maria-Elena auch kleine Aufmerksamkeiten für sie und ihre Tochter Anunciata mit. Sie wurde aufgrund ihrer Position respektiert, außerdem war sie erst Anfang vierzig und immer noch eine schöne, begehrenswerte Frau, obwohl sie sich selbst nicht als schön empfand, jedenfalls nicht so wie Anunciata. Außerdem wollte sie gar keinen Mann.
Nach dem Einkaufen schlenderte sie meist noch ein bisschen die Avenida Presidente Masaryk hinunter, wo Maceo Encarnación in den schicken Designer-Boutiquen einzukaufen pflegte. Vor siebzehn Jahren, kurz nach Anunciatas Geburt, als sie noch im Krankenhaus lag, hatte er ihr ein juwelenbesetztes Bulgari-Armband geschenkt. Wochenlang hatte sie nicht gewagt, es anzuprobieren, obwohl sie es jeden Tag betrachtete und es nachts auf dem Kopfkissen liegen hatte.
An diesem Morgen bog sie nach einer Weile von der Avenida Presidente Masaryk ab, um ihr eigentliches Ziel zu erreichen, die Piel-Canela-Boutique in der Calle Oscar Wilde 20. Sie blieb vor dem Schaufenster stehen und bewunderte die butterweichen Handtaschen, Handschuhe und Gürtel, die sie an die schönen Schlangen erinnerten, von denen sie in ihrer Jugend geträumt hatte. Ihre Augen füllten sich langsam mit Tränen, als der Wunsch in ihrem Herzen zu brennen begann wie das Feuer, aus dem sich einst der Phönix erhoben hatte. Mitten im Schaufenster stand die Handtasche, die sie sich wünschte, und dazu – um die Trageriemen geschlungen – die eleganten Handschuhe. Beides in der Farbe von Karamellcreme. Maria-Elena wünschte sich die Tasche so sehnlich, dass es wehtat. Doch sie wusste, sie würde sie sich nie kaufen. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie weinte und weinte. Nicht dass sie das Geld nicht gehabt hätte. Sie hatte lange genug für Maceo Encarnación gearbeitet, um sich beides leisten zu können. Doch sie war ein Mädchen von der Straße und würde sich so teure Sachen genauso wenig kaufen, wie sie jemals aus Maceo Encarnacións Diensten scheiden würde, auch nicht nach dem, was geschehen war.
Das letzte Ziel ihres morgendlichen Ausflugs war La Baila am Paseo de la Reforma, nur vier Blocks südlich des Lincoln-Parks. In dem wunderschönen Restaurant mit den bunten mexikanischen Fliesen gab es köstliche einheimische Speisen. Im Laufe der Jahre hatte Maria-Elena dem Eigentümer und Chefkoch unter anderem das Rezept der wunderbaren, aus dreißig Zutaten bestehenden Mole de Xico entlocken können.
An diesem milden Morgen setzte sie sich an einen Tisch im Freien, trotz des höllischen Verkehrs auf dem Paseo de la Reforma. Bei ihrem Lieblingskellner Furcal bestellte sie ihr übliches Maisgetränk Atole , dazu Empanadas de plátano rellenas de frijol und einen doppelten Espresso.
In diesen Momenten ohne Arbeit und Verpflichtungen war sie ganz sie selbst, so wie abends in den Minuten zwischen dem Zubettgehen und dem Einschlafen. Nur war sie auch dann nicht ganz frei, denn für Maceo Encarnación musste sie zu jeder Tages- und Nachtzeit verfügbar sein. Nicht so frei jedenfalls wie jetzt, in ihrem vertrauten Restaurant, wo die schmutzige Luft der Stadt mit der Asche des Popocatépetl an ihr vorüberzog.
Eine Kellnerin, die sie nicht kannte, brachte ihr mit einem warmen Lächeln ihr Atole .
»Ich hoffe, es ist so, wie Sie es mögen.«
Maria-Elena bedankte sich, höflich wie immer, nahm einen Schluck, dann noch einen, und erlaubte der Kellnerin namens Beatrice mit einem Kopfnicken, sich zu entfernen.
Sie legte die Hände um die handgefertigte Tasse. Jetzt hatte sie Zeit, um über das
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