Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
beiden oberen Zeilen gar nicht mehr lesen kann.
Nach der Durchsicht des Manuskriptes kamen dann die Punkte der Traktanden-Liste: […]
Bernhard will in Österreich keine Aufführungen, jedenfalls keine normalen. Sollte sich etwas Außerordentliches anbieten (im Hinblick auf Besetzung und Honorar), ist das mit Bernhard zu besprechen.
Bernhard und Peymann waren der Meinung, daß die Salzburger Festspiele definitiv die Aufführung des Stücks ›Am Ziel‹ beschlossen haben. Das sei auch angekündigt worden. Ich habe keine Ankündigung gesehen, kennen wir eine solche? Wir müssen dann den Vertrag schicken auf der Basis meines letzten Briefes an Präsident Kaut [siehe Anm. 2 zu Brief 413].
Aufführungen in Deutschland . ›Minetti‹ kann nur Minetti spielen, und der ›Weltverbesserer‹ ist vorläufig auch an Minetti gebunden. Sonst aber können wir Aufführungsrechte vergeben: freilich, der Autor will in keinem Fall eine ›Inflation schlechter Aufführungen‹, und da hat er recht. Also: wir wollen von uns aus nach wie vor selektiv verfahren.
Nach der Traktanden-Liste machten wir dann einen Marsch durch die Park-Anlagen der Stadt. Er war dann ausgesprochen heiter und zum Scherzen aufgelegt. So akzeptierte er, beim Scherz für die Germanisten mitmachen zu wollen. Das Manuskript ›Unruhe‹ [späterer Titel Auslöschung ] habe er beiseite gelegt, das würde er später veröffentlichen, wenn ihm nichts mehr einfiele. Ja, und dann der 9. Februar, sein 50. Geburtstag. Er wollte kein Abendessen, das Abendessen, das ich ihm zu seinem 40. Geburtstag in Brüssel ausgerichtet habe, sei so schön gewesen und man brauche das nicht zu wiederholen. Grüße an Minetti und Peymann [siehe Brief 412], und dann fügte er hinzu: am liebsten würde ich an dem Tag nur mit Ihnen allein Abendessen. Ich versprach ihm, das einzurichten, nur sollte er einen Ort wählen, bei dem ein Flugplatz möglichst in der Nähe liegt. Dann über Gott und die Welt. Er wußte, daß Peter Handke ein Stück geschrieben hatte und daß dieses Stück in Salzburg 1982 aufgeführt würde [ Über die Dörfer in der Regie von Wim Wenders]. Dezidiertes Urteil über Kollegen, Intendanten, Regisseure, Kritiker. Die sehr schöne, ausführliche Kritik der ›Billigesser‹ in der ›Frankfurter Rundschau‹, die ich ihm mitbrachte, wollte er nicht lesen [Werner Irro: Einer gegen den Massenwahnsinn , in: Frankfurter Rundschau , 8. Januar 1981].
Was hielte er von der Konstellation, daß der Papst, ein Pole, mit dem Nobelpreisträger Mi\losz, dem Exil-Polen, über Lech Wa\leôsa gesprochen habe? Satirische Reaktion, von diesem reaktionären Papst hielte er überhaupt nichts, Mi\losz [sei] ein mittelmäßiger Schriftsteller, und Lech Wa\lesa mache ihm eher Sorgen. Er glaube nicht, daß das zu halten ist. Die Russen würden kommen und dann käme die Eiszeit.
Mittagessen mit der Tante, Frau Stavianicek, und meiner Frau. Bernhard lud uns ein und war ein sehr aufmerksamer Gastgeber.
Während meines Aufenthaltes hatte zweimal Herr Schaffler vom Residenz Verlag angerufen, Bernhard nahm das Telefon nicht ab. Wahrscheinlich wollte Schaffler ihm das Erscheinen des Buches ankündigen, das nun nicht mehr im Dezember, sondern nun eben Anfang Januar erscheinen sollte [ Die Kälte ]. Auf meine Frage, ob Schaffler wisse, daß das das letzte Buch sei, das er von ihm bekäme, und daß wir die jetzt dort erschienenen vier Bände mit neuen Texten zu einem Band ›Kindheit und Jugend‹ vereinen würden, antwortete er: nein, Schaffler wüßte davon nichts. Aber es sei Zeit genug, es ihm zu sagen. Über dem sonst so sonnenklaren Bad Ischl kamen einige Wolken auf. Dann der Schelm: Wolken machen erst den Himmel schön.
P. S.: Sein Beitrag für die Frisch-Festschrift : Er könne zu Frisch nichts schreiben. Als ich ihn nach seinen ersten Begegnungen mit Frisch fragte, begann er zu erzählen: er habe in zwei verschiedenen Privat-Bibliotheken ›Homo faber‹ gesehen und gelesen. Nun wird er den Versuch machen, diese ›Begegnung‹ zu beschreiben. [Th. B. schreibt keinen Beitrag zu Begegnungen , der Festschrift zum 70. Geburtstag von Max Frisch.]«
[419; Briefbogen Kurhotel Bad Ischl 1 ]
Bad Ischl
Voglhuberstraße 10
23. 1. 81
Lieber Siegfried Unseld,
ich bin von unserem letzten Telefongespräch so irritiert, dass ich absolut mein erstes Vorhaben, nämlich an meinem Geburtstag allein zu sein, wiederherstellen möchte.
Ich bitte Sie, am 9. Feber nicht zu kommen, ich werde an diesem
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