Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
gegen die Emotionen nicht ankommen können.
Wir werden darüber selbstverständlich sprechen, wenn ich bei Ihnen sein werde. Den genauen Termin schreibe ich Ihnen noch. Ich kann das heute noch nicht mitteilen, da Günter Eich im Krankenhaus ist.
Heute beerdigen wir Theodor W. Adorno. Merkwürdige Zeit der Morde, der Tode, der Beerdigungen und Prozesse. 1
Herzliche Grüße
Ihr
Siegfried Unseld
1 Der am 6. August 1969 in Visp gestorbene Th.W. Adorno wird am 13. August auf dem Frankfurter Hauptfriedhof beerdigt. Am Tag der Beerdigung Adornos werden in Los Angeles die schwangere Schauspielerin Sharon Tate sowie vier weitere Personen von Mitgliedern der »Manson-Family« getötet.
[85; Anschrift: Ohlsdorf; Telegramm]
Frankfurt am Main
15. August 1969
erbitten dringend manuskript »watten« wegen des novembertermins. gruß unseld
[86; Anschrift: Ohlsdorf, Telegrammnotiz]
Frankfurt am Main
21. August 1969
Erbitte Ihren Anruf Verlag 74 02 31 oder privat 55 28 67. Gruss Unseld 1
1 S. U. trifft sich mit Th. B. in Ohlsdorf am 26. und 27. August 1969, danach besucht er den gerade aus dem Krankenhaus entlassenen Günter Eich im nahe bei Salzburg gelegenen Großgmain. Im Reisebericht Österreich Montag, 25. August-Freitag, 29. August 1969 hält S. U. fest:
»Das Gespräch mit Bernhard war notwendig geworden. Es galt, wieder ein festes Fundament für die Beziehung von Bernhard zum Verlag herzustellen. Ich meine, daß das geglückt ist; jedenfalls ist dies mein fester Eindruck.
Zum Domizil und zur Landschaft:
Ohlsdorf liegt ganz in der Nähe einer herrlichen oberösterreichischen Seenlandschaft: Traunsee, Attersee, Mondsee, Wolfgangsee (man sah Wäscherinnen, die ihre Wäsche im reinen Seewasser wuschen). Bernhards Hof ist 8 Autominuten von Gmunden am Traunsee entfernt (es gibt keine Tankstelle auf dieser Strecke). Bernhard hat einen alten Viereck-Hof für seine Zwecke umgebaut, d. h., Stall- und Scheunentrakt wurden entrümpelt und weiß gekalkt; man könnte den ganzen Suhrkamp Verlag dort unterbringen. Der Wohntrakt ist spartanisch einfach eingerichtet mit einem luxuriösen Bad. Es ist zugig dort. Ablenkungen von der Arbeit finden nicht statt. Bernhard lebt dort ganz allein. In der Woche kommt einmal eine Putzfrau, gelegentlich kommt ein Bauer oder eine Bäuerin, um ihm Eier, Milch oder, wie bei meiner Anwesenheit, herrlichen selbstgebrannten Schnaps zu bringen.
Konkret haben wir über drei Dinge gesprochen:
I. Finanzen
Soweit ich Frau Roser [der Honorarbuchhalterin des Verlags] folgen konnte, hat Bernhard von uns ein Darlehen von DM 25.000.— und eine Differenz von Zahlungen und Gutschriften von je DM 16.000.— (wobei das 1. Halbjahr 1969 nur im Hinblick auf Zahlungen, nicht aber auf Gutschriften berücksichtigt ist).
Wir vereinbarten das Folgende:
1. Das Darlehen bleibt als Darlehen stehen.
2. Die Zahlungen von DM 16.000.— gehen einmal auf bisherige Werke, dann aber auch als Options-Zahlungen für die nächsten drei Werke Bernhards.
3. Bernhard unterschreibt eine Erklärung, wonach er im Falle seines Todes oder seiner Nichthandlungsfähigkeit alle Honorare an den Suhrkamp Verlag abtritt, und zwar so lange, bis die ganzen Zahlungen verrechnet sind. Ich bitte Herrn Nabbefeld [kaufmännischer Geschäftsführer der Verlage], zusammen mit Herrn Torz eine entsprechende Vereinbarung vorzubereiten.
4. Vom 1. September 1969 an und auf die Dauer von zwei Jahren erhält Thomas Bernhard monatlich DM 800.— a conto alter und neuer Bücher. Die Zahlungen sollen gehen auf die Bank für Oberösterreich und Salzburg, Gmunden / Oberösterreich, Konto Nr. 318.
Darüber hinaus wird Thomas Bernhard bei uns zwei Jahre lang keine Honorare abrufen.
5. Sobald für beide Verlage die Abrechnung per 30. 6. klar ist, also Ende August / Anfang September, möchte ich Bernhard einmal eine klare ›Abrechnung‹ übergeben. Ich bitte Frau Roser, mir etwa Ende September den neuen Kontostand dann zu geben.
II. Ich besprach mit Bernhard seinen ›Übertritt‹ in den Suhrkamp Verlag. Diese Frage war leichter zu besprechen, weil auch Frau Botond ihm dies schon angeraten hatte [siehe Anm. 1 zu Brief 83]. Das Für und Wider wurde ausführlich diskutiert, und schließlich war Thomas Bernhard damit einverstanden. Sein neuer Roman, der im Grundriß und in einer Niederschrift fertig ist, wird im Juli-Programm 1970 im Suhrkamp Verlag erscheinen können. Wie wir die Honorarzahlungsverrechnungen
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