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Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Titel: Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund Fellinger
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der Fassung. Es war nur mit größter Mühe möglich, ihm die einzelnen Positionen zu erklären. Aber auch das änderte nichts daran, daß er letztlich beschied, die Zahlen seien alle falsch, sie könnten nicht stimmen, weil er vor Salzburg [Vertrag über die Uraufführung von Der Ignorant und der Wahnsinnige ] ähnlich hohe Schulden gehabt habe wie jetzt. Das könne nicht mit rechten Dingen zugehen. Er habe Herrn Unseld und Frau Ritzerfeld eindeutig erklärt, daß die Salzburger Fernsehaufzeichnung von Der Ignorant und der Wahnsinnige nur unter der Voraussetzung stattfinden könne, daß die Einnahmen die bisherigen Vorauszahlungen, mit Ausnahme der monatlichen Zahlungen, abdeckten. Ich habe ihm deutlich zu machen versucht, welch eine Unmöglichkeit das gewesen wäre. Nicht nur, daß die Aufzeichnung an einem seidenen Faden hing. Die etwa zu fordernden 50.000.— DM wären dem ORF als völlig unakzeptabel erschienen, und man hätte sicherlich das Projekt wegen weiterer Bernhardscher bzw. Verlags-Pressionen fallengelassen. Auf dieses Argument hin meinte Bernhard nur, das sei ihm dann auch egal gewesen, er verschleudere sich nicht, und im übrigen hätte er ja dann ein anderes Projekt, das ihm Geld gebracht hätte, in Angriff nehmen können. Er vergaß dabei, daß die Vorauszahlungen dann einen noch höheren Betrag ausmachen würden.
Aber jedweder Ansatz zu sinnvoller Diskussion endete seinerseits mit irrationalen Ausflüchten. Auch mein Bericht über die Aufführungspläne seiner Stücke wurde von ihm keineswegs mit Freude entgegengenommen, obwohl hierzu eigentlich Grund bestände. In der kommenden Spielzeit werden nicht weniger als neun Theater seine beiden Stücke spielen. Das interessiere ihn nicht, sagte er, denn nur eine einzige gute Aufführung sei für ihn wichtig. Was interessiere ihn Essen, Krefeld, das sei doch im Grunde alles überflüssig. Ich fragte ihn, ob er eigentlich nur für sich selbst schreibe. Und erstaunlicherweise bejahte er das. Kühl, aber ohne sich vermutlich über die Widersprüche seiner Haltung im klaren zu sein.
Auch der Residenz Verlag kam ins Spiel. Warum sei es dort möglich gewesen, 5 000 Exemplare von Der Italiener [siehe Anm. 1 zu Brief 157] zu verkaufen, wir aber mit unseren Verkaufszahlen hinterherhinkten? Der Verlag erscheine ihm wie ein Konsumverein, und er habe nicht das geringste Interesse, sich in die Reihe der Vereinsmitglieder einzureihen. Im Klartext: er erwartet eine Sonderbehandlung.
Schließlich brachen wir die Diskussion ab und verbrachten den Abend bei Freunden.
Für den nächsten Morgen waren wir erneut verabredet. Drei Punkte waren es, die er noch einmal zur Sprache brachte. Korrektur wird in keinem Fall im Frühjahr nächsten Jahres erscheinen. Zweitens fordert er uns auf, sämtliche Vorauszahlungen, die wir bisher an ihn geleistet haben – mit Ausnahme der monatlichen Zahlungen —, mit den Einkünften aus der Fernsehaufzeichnung von Der Ignorant und der Wahnsinnige zu verrechnen. Mit anderen Worten: wir müßten den gesamten Betrag minus der Vorauszahlung durch Einkünfte aus der Fernsehaufzeichnung von Der Ignorant und der Wahnsinnige erwirtschaften. Akzeptieren wir diese Forderung nicht, so meinte er ultimativ, dann werde der Suhrkamp Verlag von ihm kein Manuskript mehr erhalten.
Drittens vereinbarten wir, daß er wegen des neuen Stückes keine Alleingänge unternimmt. Es ist fest ausgemacht, daß er das Manuskript uns zukommen läßt, sobald er damit fertig geworden ist. Er denkt an etwa Anfang Januar. Mit Peymann hat er bereits erste Kontakte aufgenommen, um ihn für eine erneute Regie zu gewinnen. Auch Karl-Ernst Herrmann und Moidele Bickel sind offenbar bereit, erneut für ihn zu arbeiten. Als Uraufführungshäuser kommen Hamburg und Berlin in Frage.
Vor meiner Abreise habe ich ihn noch einmal wegen des Atzbach -Manuskriptes gefragt. Er glaube nicht, daß sich das realisieren lasse. Wir müssen also damit rechnen, daß daraus nun endgültig nichts wird.
Gegen Mittag schieden wir. Da er gemerkt hatte, daß seine Forderungen nicht ohne Wirkung geblieben waren, bemühte er sich um Klimaverbesserung. So etwas wie Optimismus kam auf.
Wir müssen ihm ein Angebot machen.«
    2   Der dreiseitige Brief von S. U. wird von Th. B. auf den ersten beiden Seiten – offenbar zur Vorbereitung einer Antwort – mit vielen handschriftlichen Notizen versehen. Siehe Abb. S. 829ff.

[216]
     
    Ohlsdorf
    6. 11. 72
    Lieber Herr Dr. Unseld,
    ich bestätige Ihren

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