Der Briefwechsel
nicht versucht, zwischen den Jahren einmal anzurufen.
Ich rief an, als ich Dir sagen konnte, ich habe das Manuskript gelesen. Ich versuchte das auszudrücken, was ich bei der langen Lektüre empfand: meine Bewunderung vor einem Werk, das Dein Hauptwerk geworden ist, das ein Panorama Deines inneren wie äußeren Lebens gibt, das die Genesis Deiner bisherigen Arbeiten gibt und gleichzeitig eine Poetologie Deines Schreibens. Ich habe einen riesigen Respekt vor Deiner Leistung. Doch irgendwie wolltest Du das nicht hören, es sei »ungefühlt« gewesen, mich habe zugleich »anderes beschäftigt«. Wir kamen auf solch anderes, als Du mich abrupt fragtest, ob ich glücklich sei, und ich verstand darunter die Frage nach meinem Leben, und so kam der leidende Koeppen auf, aber Du wolltest wissen, ob ich glücklich sei, nun Dein Manuskript lesen zu können und es für den Verlag zu haben. Natürlich bin ich als Verleger glücklich und auch als Handke-Leser. Aber es gibt da, von Dir angekündigt (»Du kommst drin vor«), auch Beschreibungen von einem ersten und zweiten Verleger, die mich alles andere als glücklich machen.
Wie sehr sie auch »Rollenprosa« sein mögen, sie haben sich tief in mein Gedächtnis eingegraben: Besuchsform wie bei einem Kranken; die Existenz des Schreibers ist ihm unbegreiflich, langweilig, fremd der Traum vom dritten Verleger, »statt all der lügnerischen, betrügerischen und zu jedem Verrat bereiten Ausbeuter«; keine Gemeinsamkeiten, aber doch auch kein Bruch. Darf ich davon nicht berührt sein?
Die Gier nach Manuskripten sehe ich als einen guten Zug eines Verlegers, aber jener Morgen, an dem ich das Manuskript bei Dir abholte, über eine Stunde im Verkehr stak, war alles andere als ein Coup. Ich mußte das Flugzeug erreichen, weil in Frankfurt ein fast existentieller Termin davon abhing.
625 Die Abschrift Deines Textes liegt in guten Händen; Du meintest, Frau Weidner könnte dies in 14 Tagen schaffen, eine versierte Abschreiberin schafft in einer Stunde höchstens drei Seiten, und länger als vier Stunden können die Augen der Abschreiberin nicht an der Handschrift »arbeiten«, das wissen wir nun. | Die Abschrift ist fertig. |
Und kann ich mehr für Dein Original tun, als es durch lebende (liebe, Handke lesende und verehrende) Boten nach Chaville zu bringen?
Lieber Peter, ziehen wir einen Schlußstrich, lassen wir ein neues Lebenskapitel zwischen uns beginnen.
Machen wir ein schönes Buch.
Es gelte Goethes: »Der ich recht wohl zu leben wünsche«. 2
Herzlich grüßend
Dein
Siegfried
1
Der Brief von P. H. unter dem Datum des 13. Januar 1994 ist nicht ermittelt.
2
Die Schlußformel eines Briefes von Goethe an seinen Verleger Johann Friedrich Cotta vom 18. März 1807 lautet vollständig: »Der ich recht wohl zu leben wünsche und der Hoffnung entgegensehe, Sie in wenigen Wochen bey mir zu begrüßen.«
[514; handschriftlich]
Chaville
30. Januar 1994
Lieber Siegfried,
ich will Dir gleich und nicht breit auf Deinen Brief antworten, der vieles recht macht – auch wenn wir uns in einigem nie verständigen werden (und das muß ich, ab jetzt hoffentlich in Schweigen, akzeptieren). Wir wollen, wie Du sagst ein schönes Buch machen, und darauf fange ich mich jetzt,
626 auch durch Deinen Brief, zu freuen an. Ich will es nun doch, fürs erste, für das Einteilen, Absätzemachen, mit Raimund F. versuchen, mit ihm allein, und, wenn Du es für nötig hältst und es auch möchtest, ein andermal mit Dir. Ich mache nachträglich Aufzeichnungen für Korrekturen, Einfügungen, Kürzungen, Verschärfungen. Die von Dir bemerkte Stelle zu dem Verleger hätte ich ohnedies noch geändert, sie ins Groteske und zugleich Sachlichere gehoben. Ohne daß ich mein Problem – daß das Recht auf meine Sachen, meine Lebenssachen, durch die Verlagsverträge mir nichts dir nichts flötengeht – leugnen möchte. Die Lage, Rechtslage?, tut mir halt bleibend weh und macht mich zornig, auch ungerecht?
Also wollen wir weitertun. Das mit dem »gelungenen Coup« habe ich im übrigen ganz und gar nicht abwertend gemeint! Ich bin hier und möchte in den nächsten Monaten frei und kräftig für das bessere und weitere Flüggemachen des Buchs sein. Vielleicht sollte ich als Untertitel doch nur »Erzählung« setzen? Auf bald, beim Bereden? und dann beim Wein,
Dein alter Peter
Der junge Mann, der mir das Manuskript zurückbescherte, war wirklich eine Freude (anders auch sein Fräulein vom Bodensee).
627
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