Der Briefwechsel
dich‹.«
[522; Anschrift: Chaville; Fax]
Frankfurt am Main
16. Juni 1994
Lieber Peter,
wir haben einen Fehler gemacht, den ich sehr bedauere, ich bitte Dich um Entschuldigung.
Man kann erklären, wie dies geschehen konnte, aber hinter diesen Erklärungen gibt es eine unerklärliche Komponente, eine Spannung, die mich nun seit Monaten, seit unserem Pariser Gespräch, verfolgt. Wir, Raimund Fellinger und ich, haben uns Deinem großen Manuskript gegenüber optimal verhalten und unseren großen Einsatz geleistet; ich verlange dafür keinen Dank, es ist ja unsere Aufgabe, aber ich wehre mich, dafür nur Vorwürfe entgegenzunehmen. Du machst uns durch Deine Reaktionen unsicher, und aus solcher Unsicherheit heraus entstehen dann bei uns Schwächen und Fehler.
Ich verstehe, daß Du nach jahrelanger Arbeit angespannt bist und daß es deswegen schwierig ist, sachliche Fragen mit Dir sachlich zu besprechen. Du nimmst alles gleich persönlich, und ist man nicht Deiner Meinung, bist Du beleidigt, fühlst Dich mißverstanden und abgewertet.
636 Wir diskutierten die Frage, ob ein handgeschriebenes Manuskript ein satzfertiges Manuskript sei; ich mußte dies verneinen; es ist einfach ein Faktum, daß jüngere Leute, Sekretärinnen, Setzer, eine Handschrift, wie deutlich diese auch sein mag, nicht mehr oder kaum mehr, in jedem Fall nur noch mit zeitraubender Anstrengung lesen können. Doch wo und wann habe ich gesagt, daß es »nicht mehr gehe«, mit Bleistift zu schreiben? Und wieso ist der, der mit Bleistift schreibt, ein »gestriger Schreiber«? Und wofür willst Du mich mit dem Rückruf der mir vermachten handschriftlichen Manuskripte bestrafen?
In Deinem Buch lese ich: »In mir ist von Kind an eine seltsame Bereitschaft zur Entzweiung«, es ist von der »Genugtuung« die Rede, »entzweit zu sein«, ich lese von »Aufwallung« und »Jähheit«. Wir können uns vielleicht nicht ändern, aber versuchen sollten wir doch, sachliche Fragen sachlich zu behandeln. Es wird immer Fehler geben, weil wir Menschen, aber nicht Verbrecher sind.
Noch einmal, die Sache mit dem Ankündigungstext bedauere ich wirklich. Nimm meine Entschuldigung an, und laß uns wieder in produktiver Weise zusammenarbeiten.
Freundlich grüßend –
Dein
Siegfried
[523; handschriftlich; Anschrift: ; Briefpapier Kurklinik Buchinger am Bodensee]
Überlingen
31. Juli 1994
Lieber Peter,
ein heiß-schöner Sommermonat liegt hinter uns. Für mich war es Fasten und Meditieren, und in jedem dieser 30 Tage
637 habe ich in Deiner wunderbaren Dichtung gelesen. Der Erzähler legt eine Lichtspur, die Gegenwärtiges neu aufscheinen läßt und Vorstellungen vom Kosmos und Zeit, Sein und Nichtsein möglich macht. 1
Machen wir in unserer Sache doch wieder einen Anfang.
Wenn die Hitze vorbei ist, sollten wir uns an einem schönen Ort treffen.
Mit meinen besten Grüßen
Dein
Siegfried
1
S. U. hielt sich vom 30. Juni 1994 bis zum 30. Juli 1994 in der Kurklinik Buchinger in Überlingen auf.
[524; Anschrift: Chaville]
Frankfurt am Main
5. August 1994
Lieber Peter,
Roger Straus hat mir ein erstes Bindeexemplar von »The Jukebox & Other Essays on Storytelling« geschickt. Bei uns wohnt ein junger Amerikaner, der mir von seinem sehr positiven Eindruck der Übersetzung berichtete. 1
Herzliche Grüße
[Siegfried Unseld]
1
P. H., The Jukebox and Other Essays on Storytelling , enthält die drei Versuche in einem Band. Die beiden ersten wurden von Ralph Manheim übersetzt, der letzte von Krishna Winston.
638 [525; handschriftlich]
[Chaville]
28. August 1994
Lieber Siegfried,
ja, sag mir, wo und wann, schlag mir etwas vor. Ich bin jetzt frei, und mit Fellinger, das will ich anmerken, habe ich für die letzten Korrekturen zwei Tage lang hier so sportlich und schön zusammengearbeitet wie noch nie (mit überhaupt jemanden, was das Lektorieren, Wort-für-Wort-Lesen, angeht: Da ist R. F. großartig, ich bin ihm dankbar, und es war auch das Rechte für ihn, hoffe ich). Nun auf zum fertigen Buch. Und so grüßt Dich vom Geburtstag der dreijahrealten Léocadie der Peter (und wünscht Dir einen schönen Herbst, mit dem weiterreichenden Blick vom Bodensee).
P. S.: Der vom Verlag einbehaltene Teil des Auftragshonorars für »Die Stunde da wir nichts voneinander wußten«, dessen Rückzahlung Du mir Anfang Juni in Königstein zugesichert hast, ist immer noch nicht bei mir; ich habe auf die Halbjahresabrechnung gewartet, die vor ein paar Tagen
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