Der Briefwechsel
Gartenstraße]
Frankfurt am Main
12. Dezember 1967
Lieber Peter,
ich habe an Deinem 25. Geburtstag doch sehr herzlich an Dich gedacht. Was hast Du noch vor Dir! Ich habe ja demgegenüber ein Teil der Wegstrecke doch schon hinter mich gebracht.
89 Deine Hauptmann-Rede war vorzüglich formuliert. Zwar hätte ich die Schlußforderung nicht so kraß hingestellt, aber die Tendenz ist richtig. 1
Den »Kaspar« habe ich jetzt gelesen. Dazu nur meinen Glückwunsch. Ich hoffe, wir können bald darüber sprechen.
Herzliche Grüße
Dein
[Siegfried Unseld]
1
Am 3. Dezember 1967 erhielt P. H. den von der Freien Volksbühne Berlin an Dramatiker verliehenen Gerhart-Hauptmann-Preis. Seine Dankrede, die sich mit dem Freispruch des fahrlässiger Tötung des Studenten Benno Ohnesorg angeklagten Polizeibeamten Heinz Kurras beschäftigte, endete mit den Sätzen: »Keinen Angeklagten der Welt kann man mit wirklicher Sicherheit schuldig sprechen. Ein letzter Zweifel zeugt immer für ihn. Das ist gut so. Auf diese Weise müssen von jetzt an, das möchte ich sozusagen fordern, nur noch Freisprüche gefällt werden, und ich möchte noch weiter gehen und Steuergelder sparen helfen, indem ich fordere, daß die Gerichte, wenn sie ohnedies nur Freisprüche mehr fällen, abgeschafft werden, daß die Gefängnisse abgeschafft werden, daß überhaupt alle Rechtseinrichtungen abgeschafft werden, daß überhaupt alle dem einzelnen übergeordneten Institutionen des Staates abgeschafft werden! Im Hinblick auf eine solche utopische, noch nicht verwirklichte Welt (aber auch nur im Hinblick auf diese) möchte ich das Urteil für den Polizeibeamten Kurras begrüßen!« (P. H., Bemerkungen zu einem Gerichtsurteil , in: Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms , S. 161f.)
90 1968
[66; Anschrift]
Frankfurt am Main
26. Februar 1968
Lieber Peter,
ich brauche wohl keine besonderen Worte dazu machen. Joachim 1 hat etwas gezeichnet und Dir gewidmet.
Herzlich
Dein
[Siegfried Unseld]
1
Joachim Unseld, der Sohn von S. U. Die Zeichnung ist nicht ermittelt.
[67; handschriftlich; Ansichtskarte: »The Union Flag of Great Britain«]
[London]
7. April 1968
Lieber Siegfried,
wegen Brecht habe ich kein schlechtes Gewissen mehr, und so kann ich ruhig, auf einer Bank auf einem Friedhof sitzend, die »Welt« als Unterlage, diesen (schon bald nicht mehr) freien Platz auf der Karte vollschreiben. 1 Es wäre fein, Dich in Frankfurt einmal sehen zu können, wenn ich zu den Proben dort bin.
Dein
Peter Handke
1
91 P. H., Horváth ist besser , in: Theater heute , 3/1968, S. 28: »Brecht ist verglichen mit Autoren seiner Zeit, etwa William Faulkner und Samuel Beckett, sicherlich ein Trivialautor.« Ich konnte ihn nie leiden […] Ich ziehe Ödön von Horváth und seine Unordnung […] vor.« Wiederabgedruckt unter dem Titel Horváth und Brecht , in: P. H., Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms , S. 63f.
[68; Anschrift: ]
Frankfurt am Main
14. Mai 1968
Lieber Peter,
Du warst in Frankfurt und hast mich weder angerufen noch hier im Verlag zu sprechen versucht. Das ist Deine Sache, aber ich bedaure es natürlich.
Der Verlag hat Dir eine Vertragsergänzung zugeschickt. Bitte sende diese Ergänzung ununterschrieben zurück. Nachträglich erinnerte ich mich an ein Gespräch mit Dir. Ich habe Dir gesagt, daß Du wie die anderen Autoren vom dritten Buch von vornherein ein Honorar von 12 % haben sollst. Du kannst diese Erinnerung sicherlich bestätigen. Ich lasse Dir noch einmal ein Vertragsformular auf dieser Basis zugehen. Bitte entschuldige den Vorgang.
Ich bin sehr beeindruckt vom »Kaspar« und möchte am liebsten auch noch die Oberhausener Realisierung sehen. 1
Herzliche Grüße
Dein
[Siegfried Unseld]
1
P. H., Kaspar , erschien am 1. April 1968 in broschierter Form in einer Auflage von 3.000 Exemplaren und einem Ladenpreis von DM 10.– mit einer Collage von Wim Wenders auf der Umschlagvorderseite im Hauptprogramm des Suhrkamp Verlags. Das Stück wurde am 11. Mai 1968 im Frankfurter Theater am Turm in der Regie von Claus Peymann (Kaspar: Wolf R. Redel) und
92 am selben Tag von den Städtischen Bühnen Oberhausen in der Regie von Günther Büch uraufgeführt.
[69]
[Düsseldorf, Gartenstraße]
20. Mai 1968
Lieber Siegfried,
vielleicht kann ich doch ein bißchen erklären, warum ich Dich nicht im Verlag besucht habe, als ich (übrigens mit Libgart) in Frankfurt war. (Es ist wahrscheinlich aber
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