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Der Brombeerpirat

Der Brombeerpirat

Titel: Der Brombeerpirat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Gegenteil. Die Straßen verliefen kreuz und quer, das Zentrum schien sich in den Südwesten zu quetschen, von dort aus krümelte die Stadt ohne erkennbares System auseinander. Und ihr jetziger Standort war ziemlich weit draußen, quasi am Tellerrand.
    Sie riss sich den Stadtplan heraus. Das würde Rika nicht gefallen, aber sei’s drum. Bevor man sie als Nächste auf die Vermisstenliste setzte … Orientierungssinn war nicht gerade Wenckes Stärke.
    Vor dem Haus stand Jaspers Rad, ein rostiges Hollandrad mit Stange, unabgeschlossen natürlich. Und der Sattel war viel zu hoch, sie würde sich bestimmt einen Wolf radeln, aber es ging jetzt darum, diesen Veit Konstantin nach ihrem Bruder zu fragen. Sie würde ihm einen Besuch abstatten. Zwar war es irgendwie ein bisschen peinlich, nach seinem vierzigjährigen Bruder zu suchen, der ohnehin alles andere als häuslich war, aber alles war besser, als sich hier die Zeit zu vertreiben.
    Den Schlüssel legte sie unter die Fußmatte.
    Dann schob sie das Rad auf die Straße. Links oder rechts? Der Ort lag im Westen. Also fuhr sie der Sonne entgegen. Na also, so blöd war sie wohl doch nicht.
    Sie fand das Rad grauenhaft unbequem, nicht zuletzt, weil sie eigentlich so gut wie nie Fahrrad fuhr. Lieber nahm sie ihren alten R4, wenn er denn ansprang. Laut Musik an und eine Zigarette am Steuer und fluchen, wenn der Vordermann bei Grün nicht sofort in die Pötte kam. Das machte Laune.
    Rad fahren war so still, so gesund, so anstrengend und so, so langsam, dass sie sogar Zeit hatte, sich die Insel etwas näher anzusehen.
    Mehrfamilienhäuser aus rotem Backstein, die sie irgendwie an Kasernen erinnerten; hübsche, weiße Villen mit hölzerner Veranda davor, aus der jederzeit eine Dame mit langem Kleid, breitem Hut und Sonnenschirmchen hätte heraustreten können, ohne dass es sie gewundert hätte; moderne Zweckbauten mit mehr oder weniger aufdringlichen Werbeflächen ü ber der Haustür; und ganz weit in der Ferne konnte Wencke tatsächlich ein paar Hochhäuser ausmachen. Die hatte sie bereits vom Schiff aus gesehen, in diese Richtung musste sie fahren.
    Die asphaltierte Straße, die sie wieder einmal an ihr Auto denken ließ, wurde auf einmal holperig; patchworkgleiches Steinpflaster sah zwar nett und irgendwie inseliger aus, tat dem Fahrvergnügen allerdings nicht so gut. Sie stieg ab und schob das Rad neben sich her, den Stadtplan in der Hand.
    Benekestraße, Onnen-Visser-Platz, Bismarckstraße, dann war sie da. Na bitte, ging doch.
    Sie stellte das Rad neben dem Eingang ab, der Ständer wackelte erbärmlich, aber so musste es gehen. Sie klingelte. Ein pastellfarbenes Haus mit riesigen, halbrunden Fenstern, die wie freundliche Augen aussahen. Keine Frage, hier wohnte Geld.
    Was wollte sie eigentlich genau sagen? Vielleicht ließ man sie gar nicht herein?
    Na ja, irgendetwas würde ihr schon einfallen.

08.
    Sonnig, 28°C im Schatten
    Der erste Fahrgast heute Morgen hatte es ihm erzählt. Die übliche Strecke, Stadt-Hafen, an guten Tagen fuhr Remmer diese zweieinhalb Kilometer bis zu fünfzigmal hin und zurück. Wohin sollte man sich auf Norderney auch sonst mit der Taxe kutschieren lassen?
    Also Stadt-Hafen, ein guter Bekannter, er arbeitete bei der Norderneyer Badezeitung und Remmer hatte ihn gern in seinem Wagen mit der Nummer sieben, weil er meistens interessante Neuigkeiten zu berichten wusste, die Remmer dann wie einen Vorrat hütete und über den Tag verteilt gut dosiert an seine Fahrgäste weitergab. Mal was anderes als immer nur das Wetter, obwohl das auf der Insel schon ein sehr abwechslungsreiches Thema sein konnte. Doch zur Zeit bot das beständige Sommerhoch »Hedda« keinen ausreichenden Diskussionsstoff.
    Aber Selbstmord? Das war kein schönes Thema für einen Smalltalk. Für eine Fahrt zum Golfplatz würde es vielleicht eher taugen, das waren vier Minuten mehr.
    Ein junges Mädchen hatte sich in der Maritim-Klinik zu Tode gestürzt. Mehr wusste sein Bekannter noch nicht, es war auch erst halb acht gewesen, da konnte man noch nicht allzu viel erfahren haben. Remmer kannte den Lauf der Dinge. Je mehr Kunden er durch die Gegend chauffierte, desto mehr fügte sich eine Neuigkeit an die andere zu einer kompletten Geschichte. Und wenn er heute Abend um sieben aus dem Taxi stieg, kannte er vielleicht schon drei verschiedene Versionen davon.
    Ein junges Mädchen … Inzwischen war es Nachmittag, er schwitzte mal wieder, die Haut juckte erbärmlich, und er wusste nun, dass es

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