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Der Brombeerpirat

Der Brombeerpirat

Titel: Der Brombeerpirat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Wellen, die einem nahezu vor die Füße klatschten, interessierten sie nicht.
    Doch sie wollte einen Moment nachdenken, bevor sie zu den anderen in die Waldkirche ging.
    Sie hatte ihre Freundin verraten. Sie hatte Leefkes letzten Wunsch nicht erfüllt.
    Wenn sie auch nicht wirklich wusste, was ihrer Freundin in den letzten Stunden ihres Lebens durch den Kopf gegangen war, eines wusste sie genau: Ihr letzter Wunsch war die Wahrheit gewesen.

07.
    Wencke fand den Schlüssel wie besprochen unter der Fußmatte. Solch hanebüchen-riskante Versteckspielereien konnte man auch nur noch auf einer Insel wagen. Eigentlich würde es sich für jeden Verbrecher lohnen, ein Fährticket nach Norderney zu kaufen. So viele unbeobachtete Koffer am Hafen, massenweise teure Handtaschen lässig über die Schultern gehängt und offene Haustüren fand man sonst wohl fast nirgendwo. Ein Dorado für Kleinganoven. Oder eben ein Stückchen heile Welt.
    Rika hatte Spätschicht, sie würde also erst um acht Uhr wieder zu Hause sein. Seltsam, dass sie sich an Jaspers Geburtstag nicht freinehmen konnte. Und wenn sie sich wirklich so wegen seines Verschwindens sorgte, warum blieb sie nicht erst recht hier? Am Telefon hatte sie weder verheult noch bekümmert geklungen. »Ach, du kommst auf die Insel? Ich hab leider keine Zeit. Ich lege dir aber den Schlüssel raus, mach’s dir solange gemütlich. Vielleicht ist Jasper bis dahin ja wieder aufgetaucht.« Also, entweder hatte ihre Mutter am Telefon maßlos übertrieben, was allerdings gar nicht ihre Art war, oder Rika hatte einen wundersamen Stimmungswechsel erlebt. Wie auch immer, ein bisschen seltsam fand Wencke ihre Beinahe-Schwägerin schon, doch das hatte sie bislang bei allen Beinahe-Schwägerinnen so empfunden, und das waren einige.
    Vielleicht musste man einfach merkwürdig sein, wenn man mit Jasper Tydmers zusammenlebte. Ein bisschen resolut, ein bisschen sensibel und vor allem sehr, sehr großzügig, dann konnte man neben ihrem Bruder überleben.
    Die adrett weiß-blau gepinselte Doppelhaushälfte mit Vorgarten in der etwas sehr kleinbürgerlichen Siedlung passte eigentlich überhaupt nicht zu Jasper. Wahrscheinlich konnte man auf Norderney nicht allzu wählerisch sein. Doch die Wohnung sah genau so aus, wie Wencke es sich vorgestellt hatte. Ein wenig nach Krankenschwester, denn es war alles sehr sauber, aufgeräumt und fast steril, ein wenig nach Künstler. Eine Gitarre bei der Schiebetür zum Garten. Sie war Jaspers älteste Geliebte, Wencke meinte sogar, dass er ihr einen Namen gegeben hatte, war es Elisabeth? Ein paar von Mutters Materialschlachten hingen oder lehnten an den Wänden. Wencke mochte Mutters Kunst nicht, vor allem nicht in geballter Ladung, so wie hier. Doch die Fotos im Flur, die liebte sie. Jaspers Fotos. Es war ihm schon immer gelungen, ihre kleine, verkümmerte Künstlerseele damit zu erwecken. Wencke betrachtete die Aufnahmen intensiv. Diese Bilder kannte sie noch nicht. Es waren Kinder. Kleine Kinder, große Kinder, beinahe Erwachsene. Traurig, fröhlich, albern, aggressiv … Wencke hielt die Luft an. Dies war Jaspers eigene Art zu fotografieren. Jedes Detail im Bild erzählte etwas von dem Moment, in dem es aufgenommen wurde. Konservierte Emotionen. Schön, wunderschön. Das letzte Bild in der Reihe machte es Wencke fast unmöglich, wegzuschauen.
    Ein Mädchen im Sand, vielleicht dreizehn oder vierzehn Jahre alt, spindeldürr und mit großen, hellen Augen, die aus dem Foto herauszublicken schienen, so als wussten sie nichts von der Welt und seien doch klüger als die Menschheit. Auf dem Passepartout hatte Jasper mit Bleistift etwas notiert, es war das einzige Bild mit Namen. »Inselkind« .
    »Wer solche Bilder macht, der darf auch vierzig werden«, sagte Wencke laut in die Stille hinein, die in einer fremden Wohnung immer noch ein wenig lautloser zu sein schien.
    Sie überlegte, ob sie sich hier wohl umschauen durfte. Konnte sie einfach so in den Büchern kramen, die im Wohnzimmer übereinander gestapelt lagen? Was las ihr Bruder überhaupt? Intellektuelles? Lyrisches? Oder ordinäre Krimis?
    Sie traute sich nicht. Bücher waren irgendwie zu intim. Aber Musik war in Ordnung. Drei Regalreihen gefüllt mit CDs, ihr Bruder war Musiker. Ob sie wohl erkennen konnte, welche davon ihm und welche Rika gehörten?
    »Wishbone Ash« – langhaarige Bleichgesichter an Schweineorgeln, klar, seine.
    Eine Reihe darunter Alanis Morisette, die hatte sie selbst auch, also war es mit

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