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Der Brombeerpirat

Der Brombeerpirat

Titel: Der Brombeerpirat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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der ihn kannte, konnte ahnen, wie viel Mühe ihn dieser eine Satz gekostet hatte.
    Sie lächelte, und er erkannte sofort, dass ihr Lächeln schwach und ein wenig verwirrt war.
    »Kollege Sanders, ich war so frei, der Familie Konstantin im Namen der Sonderkommission Aurich unsere Anteilnahme auszusprechen. Die Ermitt lungsgespräche überlasse ich selbstverständlich Ihnen und dem Kollegen Britzke.«
    Mehr blieb zur Zeit nicht zu sagen, leider, aber hinterher, das wusste Axel Sanders genau, hinterher würde er diese Frau ins Gebet nehmen, egal, ob sie nun seine Vorgesetzte war oder nicht. Und ganz egal, wie sehr er sie vielleicht mochte.
    Er setzte sich auf einen freien Sessel, während Meint Britzke neben Wencke Tydmers auf dem Sofa Platz nahm. So waren zumindest der Sitzordnung nach die Rollen richtig verteilt, dachte er. Die verweinte Frau stellte zwei weitere Teetassen auf den Tisch und setzte sich auf den zweiten Sessel ihm gegenüber. Eine graue Katze strich ihr erst ein paarmal um die Beine, dann sprang sie auf den schwarzen Schoß. Es war so eine teure Rassekatze mit diesem seidig-feinen Silberfell und den aufdringlich grünen Augen. Sanders konnte mit Katzen nichts anfangen, sie waren ihm absolut suspekt. Als Frau Konstantin sie von ihren Oberschenkeln schob, hinterließ sie unzählige fusselige Haare auf dem Trauerkleid, und Sanders musste sich schütteln.
    Das Katzentier schien seine Abneigung zu spüren, es kehrte ihm nach vergeblichen Annäherungsversuchen mit einer hochnäsigen Bewegung den behaarten Rücken zu und begann, seiner Kollegin um die Beine zu streichen.
    »Entschuldigen Sie, mein Mann ist vor wenigen Minuten gegangen und wird jeden Moment wieder hier sein, er ist nur kurz rüber zum Pastor, es gibt ja so vieles zu klären … so vieles … und das mitten im Sommer, wo wir ohnehin bis zum Hals in Arbeit stecken.«
    Eine kurze, etwas unangenehme Stille blieb im Zimmer stehen.
    »Verstehen Sie mich nicht falsch, es mag für Sie vielleicht etwas merkwürdig klingen, wenn ich das so sage«, versuchte sie sich sogleich zu rechtfertigen, »aber wir hier auf der Insel leben nun einmal mit der Saison, sie bestimmt unseren Rhythmus. Mein Mann verwaltet mit seinem jüngeren Bruder fast sechzig Eigentumswohnungen, zur Zeit haben wir täglich zwei bis drei Anreisen, das will alles gut organisiert sein. Da ist jede Stunde verplant. Und so makaber es klingen mag, aber in der Hochsaison ist nun mal keine Zeit zum Sterben. Die alten Insulaner halten sich auch größtenteils daran, die meisten Beerdigungen haben wir hier vor Ostern und im November.« Sanders blieb sprachlos, er war kein Mann der großen Emotionen, aber falls diese Frau nur deshalb so herzzerreißend schluchzte, weil sie sich mit dem plötzlichen Tod von Leefke überfordert fühlte, dann war dies selbst in seinen Augen absolut pietätlos.
    »Wir hatten ja Anfang des Jahres bereits einen Trauerfall in der Familie, meine Schwiegermutter, müssen Sie wissen. Sie hatte Asthma, schon seit Jahren. Trotzdem war es für uns alle ein Schock, als Oma Alide von heute auf morgen ins Krankenhaus musste, schweres Asthma, wissen Sie, sie starb eine knappe Woche später. Aber es ist kein Vergleich zu Leefke, unsere liebe, liebe Leefke …« Sanders war erleichtert, dass dieser neue Tränenstrom nun wohl doch dem jungen Mädchen galt.
    »Frau Konstantin, wie ich von der Norderneyer Polizistin erfahren habe, war Leefke nicht Ihr eigenes Kind.«
    »Sie ist … nein … sie war unsere Nichte. Die Tochter meiner Schwägerin, die leider schon sehr früh verstorben ist. Sie ist bei ihrer Großmutter aufgewachsen, aber als diese dann im Januar von uns gegangen ist, haben wir uns ihrer angenommen. Sie war ein anständiges Mädchen, sehr ruhig und gut in der Schule, wir hatten keine Probleme mit ihr. Das heißt – fast keine.« Sanders wunderte sich über den giftigen Blick, den Frau Konstantin jetzt zu Wencke Tydmers hinüberschleuderte.
    »Würden Sie mir das näher erläutern, bitte?«
    »Warum fragen Sie nicht Ihre Kollegin Tydmers? Sie wird Ihnen vielleicht besser erklären können, warum aus unserer lieben, stillen Leefke in letzter Zeit ein aufmüpfiges Ding geworden ist. Fragen Sie sie nach diesem ›Brombeerpiraten‹, der unseren Kindern Flausen in den Kopf setzt und uns allen hier nur Schwierigkeiten bereitet.« Die zitternde Hand der Frau griff nach dem Kandis, wie automatisch ließ sie in jede Tasse einen dicken weißen Kluntje fallen, dann goss sie den

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