Der Brombeerpirat
allein!«
Wilko sah sie an, und das jungenhafte Grinsen flüchtete nach und nach aus seinem Gesicht, als er merkte, dass sie es wirklich ernst meinte. »Wovon sprichst du?«
»Von den Lauten. Von denen, die nur ein paar Tage zum Abfeiern nach Norderney kommen und die Insel zustopfen mit ihren Trainingsanzügen und ihrem beschissenen Aldidosenbier am Hals. Verstehst du nicht? Die sind viel lauter, viel schmutziger und viel störender, als wir es hier jemals sein könnten.«
Wilko hatte den Arm um sie gelegt, als wolle er sie beschützen, doch sie fühlte sich ausgeliefert.
»Ich meine, uns gehört doch die Insel und nicht denen. Warum haben wir nicht das Recht, uns so zu benehmen, wie wir es wollen, aber die kommen immer ungestraft davon?«
»Reg dich doch nicht so auf, Pinki, das hat keinen Zweck. Es sind eben Gäste.«
»Ach, ich habe doch nichts gegen Gäste! Sollen sie sich doch ein paar schöne Tage auf der Insel machen mit ihren Koffern und Kindern und Kreditkarten. Gegen die habe ich doch gar nichts. Nur diese Horden dazwischen, diese Kegelclubs und Sportvereine, die einfach nur kommen, um laut zu sein, die machen mich so wütend.«
Dann sagten sie nichts mehr. Die Massen drückten sie die Poststraße rauf und runter. Es begann wieder Spaß zu machen. Jens hatte Apfelkorn besorgt, und sie tranken der Reihe nach aus der Flasche. Prost Neujahr! Ein nasser Kuss von Philip, mit dem sie noch nie geknutscht hatte, Swantje wurde schlecht und die Straßen wurden leerer.
Irgendwann saßen sie dann auf dem Rand des runden Brunnens vor dem Kurplatzrasen, sie nannten das Ding »Hochzeitstorte«, weil es mit seinen verschiedenen Stockwerken aus Stein genauso aussah. Sie tauchten die nackten Füße in das eiskalte Wasser und sangen.
Warum wehrst du dich mit Füßen und Händen,
meinst du, meinst du wirklich, mir macht das Spaß?
Es wird ja, es wird ja doch wieder enden
als Sturm im Wasserglas.
Sie verstummte in dem Moment, als sie schwere und schwitzende Hände auf ihren Schultern spürte. Erst dachte Pinki, es wären ihre Eltern, doch als sie sich umblickte, stand da wieder dieser Typ und grinste, und neben ihm hatte sich der alte dicke Veit Konstantin postiert.
»Die isses.«
»Rosa Grendel? Na, da wundert mich nichts«, war Konstantins Reaktion.
Erst hatte sie sich keinen Reim darauf machen können, was diese Aktion wohl zu bedeuten hatte. Doch als er sie unter den Schultern packte und hochhob, war ihr klar, dass es Ärger geben würde.
Konstantin schaute sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Ich werde mal mit deinen Eltern reden, junges Fräulein. Du bist sturzbetrunken, hängst hier mitten in der Nacht rum und wirst dann noch handgreiflich meinen Gästen gegenüber.«
Pinki wusste nichts, aber auch gar nichts zu erwidern.
»Ich danke Ihnen, Herr Beutel, dass Sie mir von diesem Vorfall erzählt haben. Wir müssen unsere Jugend auf Norderney mal wieder vernünftig erziehen. Ich werde das Nötige veranlassen und hoffe, dass Sie die Sache großzügig handhaben und von einer Anzeige absehen.«
Langsam lockerte der Kerl hinter ihr den Griff, und schließlich stand sie mit hängenden Schultern zwischen ihm und Konstantin. Sie hatte zu zittern begonnen, wegen des kalten Wassers an den Füßen und wohl auch vor Angst, jedenfalls gingen die beiden Männer dann. Keiner hatte mehr gesungen.
Es war ein scheußlicher Jahresanfang gewesen. Wie ein schlechtes Omen, wenn man bedachte, was aus diesem kleinen, fiesen Zwischenfall in der Silvesternacht resultierte. Nun war Sommer, es war heiß, und die kleinen Touristenkinder spielten an der Hochzeitstorte, am Brunnen, wo es passiert war. Nun war es Sommer, und Oma Alide und Leefke waren beide tot.
Sie wären noch am Leben …
Hätte Pinki damals nur einen halben Meter weiter gestanden, dann hätte dieser verfluchte Herr Beutel mit seinen lüsternen Fingern ins Leere gegriffen …
20.
Jasper schreckte hoch. Es war keine akustische Täuschung, kein Wind, der um das Haus schlich, und keines der Geräusche, die ein menschenleeres Gebäude von sich gab, wenn es sich unbeobachtet fühlte. Es war jemand gekommen.
Schritte über ihm. Eine Tür fiel langsam zu. Wasser rauschte durch die Rohre an der Kellerdecke. Er war nicht mehr allein.
Doch Jasper rührte sich nicht. Es war nicht die Art von Geräuschen, die Leefke gemacht hätte. Es war eine schwerfällige und doch hastige Bewegung über ihm wahrzunehmen, so als wäre jemand heimlich auf der Suche nach
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