Der Brombeerpirat
irgendetwas. Jasper hoffte, dass nicht er es war, nach dem gefahndet wurde. Trotz der ungezählten Stunden in diesem Keller, deren Ende er mehr als nur herbeigesehnt hatte, verkroch er sich nun in die hinterste Ecke seines Gefängnisses und wollte sich am liebsten unsichtbar machen.
Er konnte nicht genau sagen, woran er erkannte, dass Veit Konstantin im Haus war.
Und dies war der einzige Mensch, dem er nicht in die Hände fallen wollte.
Was hatte ausgerechnet der hier zu suchen? Er hatte ihn noch nie in diesem Haus hier gesehen. Obwohl es sein Elternhaus war, hatte Veit Konstantin es bislang peinlich vermieden, auch nur in die Nähe des Grundstückes zu kommen.
Oma Alide hätte ihn auch sicher vom Hof gejagt. Ihren eigenen Sohn.
Ihr Verhältnis war schon immer alles andere als das einer glücklichen Familie gewesen. Eigentlich war der Name das Einzige, was sie gemeinsam hatten. An Alide Konstantins siebzigstem Geburtstag hatten zwar ein üppiger Strauß Blumen und eine Büt tenkarte mit goldenen Ziffern von Veit auf dem Tisch gestanden, doch sie hatte sich viel mehr über den selbst gebackenen Kuchen der Kinder und Jaspers kleines Geburtstagsgedicht gefreut. Gegen A bend war der Blumengruß umstellt von liebevollen Geschenken, die ihr von den Menschen persönlich überreicht worden waren, die ihre eigentliche Familie waren. Sie nannte sie alle ihre Kinder.
Doch dieses ohnehin hauchdünne Band zwischen Mutter und Sohn war kurz nach Neujahr endgültig gekappt worden. Von ihr, nachdem die Kinder mehr zufällig hinter den Betrug gekommen waren. Oma Alide hatte sich ihnen gegenüber nie etwas anmerken lassen, doch alle konnten sich vorstellen, wie sie gelitten hatte. Niemand ist je dahinter gekommen, welches finanzielle Ausmaß die Unterschlagung ihres Sohnes wohl angenommen hatte, doch irgendwie war es auch nebensächlich. Es ging um ebendieses letzte bisschen Vertrauen, das zerstört worden war.
Die Jugendlichen hatten ihn für seine Verhältnisse sehr früh am Neujahrsmorgen aus dem Bett geklingelt. Rika hatte die Augen verdreht, als sie die Stimmen von Leefke, Pinki und Wilko erkannte. Doch er war aus dem Laken hervorgekrochen und hatte ihnen die Tür geöffnet.
»Wir haben ein echtes Problem«, fasste Leefke es kurz und freudlos zusammen. Er hatte für einen Moment an den wunderschönen Jahreswechsel mit ihr und den anderen gedacht, an die vielen herzlichen Umarmungen und das kurze, intensive Gespräch mit Leefke, als sie bereits alles abgebaut hatten. Nun sahen sie alles andere als glücklich aus. Er ließ sie herein, kochte Tee und stellte Cornflakes auf den Tisch. Fast wortlos hatten sie alles zusammengetragen, ein paar Aufbackbrötchen, Orangensaft aus der Tüte und Brombeermarmelade von Oma Alide. Und auf einmal saßen sie zusammen an seinem ovalen Tisch in der Küche und frühstückten in den Tag hinein, bis Leefke anfing zu erzählen, was passiert war.
»Pinki ist letzte Nacht belästigt worden. Von einem alten Typen, nicht von hier, er hat sie angefasst und so, mitten vorm Hotel König, wo alle gefeiert haben.«
Er hatte Pinki angeschaut, sie schaute zurück. Sie war alles andere als schüchtern, und sie wurde keineswegs verlegen, obwohl es um ihre Intimsphäre ging. Also war dies nicht das Problem, um das es ging.
»Ich habe ihm ein paar in die Eier getreten, dann hat er sich aus dem Staub gemacht«, erzählte jetzt Pinki mit ihrer unnachahmlichen Schnodderigkeit weiter, die Arme vor der bereits erstaunlich großen Brust verschränkt. »Ich dachte, damit wäre das Thema erledigt, aber dann, viel später, kam der Typ wie der, diesmal mit Veit Konstantin im Schlepptau. Er hat behauptet, ich hätte ihn mit besoffenem Kopf grundlos angegriffen. Und dann haben sie irgendetwas von Anzeige gequatscht und dass ich ins Bett gehöre und so ‘n Mist.«
Alle hatten ihn angeschaut. Erwartungsvoll? »Wisst ihr, wie der Kerl hieß?«
»Beutel. Das konnte ich mir gut merken, weil er ja von mir einen in den Beutel gekriegt hat.« Ein kurzes gemeinsames Lachen wehte wie ein frischer Luftzug durch die angespannte Runde.
Jasper war kein Mann, der etwas vor sich herschob. Schon hatte er den Telefonhörer in der Hand. Swantje kiekste leise, sie hatte wohl ein wenig Angst vor der eigenen Courage, doch als sie sahen, dass er Oma Alides Nummer wählte, schienen sie alle erleichtert gewesen zu sein.
Und so war es aufgeflogen. Oma Alide kannte keinen Gast mit dem Namen Beutel, und sie war sich auch ganz sicher, dass
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