Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Brombeerpirat

Der Brombeerpirat

Titel: Der Brombeerpirat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
Vom Netzwerk:
einfach nicht der Richtige für die Erfüllung solcher geheimen Wunschvorstellungen.
    »Geht es wieder einigermaßen?« Remmer blieb mit besorgtem Gesicht vor ihr stehen, die Hände in den Taschen vergraben. Er schien nervös zu sein, schrecklich nervös.
    »Hmm«, antwortete sie müde.
    »Deine Kollegen haben mich gebeten, ihnen die Stelle zu zeigen. Sie wollen die Geschosse suchen. Kann ich dich mit deinem Arm allein lassen?«
    Sie blickte an sich herunter, hob die Hand ein wenig. Ein leiser, summender Schmerz kroch bis zur Schulter herauf. »Mir ist die Wunde nicht so wichtig, sie ist mir im Grunde genommen sogar ziemlich egal. Ich mache mir echte Sorgen um meinen Bruder.«
    »Wir werden ihn schon finden.« Er rührte sich nicht vom Fleck. Rika kam aus einer der hinteren Türen neben der Portierkabine. Sie war dabei gewesen, als man Wencke den Arm untersucht und bandagiert hatte. Sie hatte ihr das Jod auf die Wunde gestrichen und mit seltsam teilnahmslosem Blick Wenckes Schmerz registriert. Es war ihr weder ein Wort des Erstaunens noch des Mitleids über die Lippen gekommen, gerade so, als behandle sie hier in der Maritim-Klinik täglich Schussverletzungen.
    Nun setzte Rika sich rieben sie, griff sich ihre Tasse Kaffee und trank mit geschlossenen Augen einen Schluck.
    Wencke beobachtete Remmer, der Rika verstohlen von der Seite im Auge behielt, mit einem beinahe verstörten Blick. Es war ihr gestern schon der Verdacht gekommen, Remmer könnte in Rika verliebt sein. Er vermochte es gut zu verbergen, vielleicht ein klein wenig zu gut. Remmer wirkte so krampfhaft unaufdringlich. Er tat Wencke Leid; Rika würde ihn mit ihrer unsensiblen Art immer wieder überfahren, wenn er versuchte, sich in ihr Leben einzubringen.
    »Rika?«, sagte er, ohne sie direkt anzublicken.
    »Hmm?«, antwortete sie gleichgültig.
    »Ach, nichts, schon gut, dann will ich mal«, sagte er unschlüssig. Er schien sich nicht trennen zu können, vielleicht hatte er ihr etwas Wichtiges zu sagen, aber er wandte sich dann doch mit einem Ruck von ihnen ab und verschwand durch die automatischen Glastüren.
    Rika hatte die Augen immer noch geschlossen und Wenckes Tasse fest in der Hand. »Ich bin völlig erledigt«, klagte sie.
    »Ich wollte dich trotzdem um einen Gefallen bitten«, begann Wencke. Rika schaute sie skeptisch und mit halb geöffneten Augen an.
    »Gehst du mit mir auf die Sonnenterrasse?«
    »Was willst du da?«
    Wie konnte Rika nur so eine dämliche Frage stellen? Es war Wencke nur ein Schulterzucken wert. Rika erhob sich betont mühsam, »Also, meinetwegen …« Sie nickte in Richtung Fahrstuhl, Wencke folgte ihr. Der verspiegelte, in kühles Neonlicht getauchte Lift brachte beide in den vierten Stock. Ein Blick ü ber die Dächer der Insel bot sich ihnen, kaum waren sie durch die Schiebetür gegangen. Sie betraten den Dachgarten, es war dort menschenleer und brütend heiß. Jemand hatte sich die Mühe gemacht und kiloweise Sand heraufgebracht, ein idyllischer Strandkorb lud zum Sonnenbaden ein und das allgegenwärtige Meeresrauschen vollendete die Illusion, man befände sich hier an einem Badestrand statt in einem Krankenhaus. Die Sonne biss sich auf Wenckes Haut fest. Sie trat ans Geländer, es reichte ihr fast bis zu den Schultern.
    »Hier ist es also passiert«, sagte Wencke tonlos.
    Rika schüttelte den Kopf. »Nein, nicht hier, sondern jenseits der Absperrung. Dahinter befindet sich der Damentrakt, hier halten sich normalerweise nur die männlichen Patienten auf. Doch da die Polizei den Zugang dort hinten versiegelt hat, müssen sich zur Zeit alle dieses Stückchen Dach teilen. Ist aber nicht so schlimm, es ist sowieso zu heiß hier oben.«
    Wencke lehnte sich, so weit es ging, vornüber. Es ging verdammt weit nach unten. Eine kupferne Dachrinne säumte den Mauervorsprung, sie war staubtrocken, hier war seit Ewigkeiten kein Wasser mehr geflossen. Zwei Streichhölzer lagen darin, das eine war abgebrannt. Durfte man hier oben etwa rauchen? Wencke gelang es, ein Stück zur Seite zu blicken, und sie konnte die Dellen im Kupferblech erkennen, die das herabfallende Mädchen dort hinterlassen haben musste.
    »Ganz schön hoch, das Geländer. Hier kann man sich wirklich nicht aus Versehen zu Tode stürzen.« Wieder schaute sie Rika genau an. »Ist es auf der anderen Seite ebenso sicher?«
    »Ja, natürlich.« Rika setzte sich in den Strandkorb, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sie wirkte eigentlich nur müde und wischte sich

Weitere Kostenlose Bücher