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Der Bronzehändler

Der Bronzehändler

Titel: Der Bronzehändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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kaum, weiß nicht, ob richtig ist, was ich tu, und mein Ziel liegt im Nebel. Die Ziele, die ich bisher ausgespäht habe, hatten wenig Sinn – sag: wie hätten wir geendet, Tamahat und ich, wenn sie nicht gestorben wäre? Als Greis wäre ich zur Greisin in den Palast geschlichen. Es ist, als stünde ich allein am Ruder und steuerte nachts durch undurchsichtigen Seenebel.«
    »Dein Schicksal ist besser als das von Millionen Bauern und Kanalgräbern am Hapi.«
    »Ich bin kein Rômet und grabe keine Kanäle. Wir sind Handlanger der Mächtigen. Trotzdem kleine Leute; wir wollen nicht so groß werden wie der Goldhorus, aber mehr sein als die Händler auf dem Großen Grünen.« Seine Fingerkuppen glitten über die feinen Narben der Striemen. »Sag mir, was ich tun soll.«
    »Bring deinen alten Kapitän nach Kefti.« Ihat zuckte mit den Schultern. Ihre Brüste bebten; in der kühlen Luft hatten sich die Spitzen aufgerichtet. »Rechne zusammen, was du hast an Gold und Besitz. Frag jeden des emsigen Dutzends, ob er mitsegelt zu den Zinnhäfen; wenn andere Kapitäne, wie ihr erzählt, sie ansteuern, dann werdet auch ihr die fernen Häfen finden.«
    Karidon legte sich zurück. Ihats Ellbogen bohrten sich neben seinen Achseln in die Decken, als sie ihn küsste. Sein Blick löste sich von ihr und glitt zum Weinkrug. Sie füllte den Tonbecher und setzte sich neben Karidon, die Beine gekreuzt. Er nahm einen Schluck ungemischten Wein und versuchte, die umherhuschenden Gedanken zu fangen und wie dünne, verknäuelte Fäden zu strecken, zu einem Tau zu flechten. Er war sicher gewesen, seit dem Nachmittag im verwaisten Kupferbergwerk seine klaren Gedanken sicher wie das Schiff steuern zu können; offenbar irrte er. Er legte die Hand auf Ihats Schulter und zog sie näher.
    »Eigentlich weiß ich, dass ich die Zinnhäfen finden kann«, sagte er. »Das Schiff ist gut. Die Mannschaft fände sich auch zusammen. Wir würden, vielleicht, ein Jahr lang segeln und suchen. Aber da ist Chakaura, da sind seine Kriege im hohen Süden, da ist Karidon, der seine Eltern nicht kennt, nicht weiß, wo und wann er geboren ist, der keine Heimat hat ...«
    »Was ist so schwer daran, eine Heimat zu finden?«
    »Würde ich nur Men-nefer kennen oder dieses Häuschen, wäre es einfach. Aber ich kenne hundert Buchten, tausend Strande, Dörfchen und Städte. Ich weiß es einfach nicht.«
    »Du gehst lange am Ufer entlang, Kapitän, Tag um Tag, mondelang, und plötzlich, irgendwann, weißt du es. Du fühlst es: hier will ich bleiben. Es ist so ähnlich wie heute Nacht, Grünauge. Ich hab's gefühlt, gespürt und – gewollt. Wer bin ich, Palastsklavin Nefer-Ihat, dich belehren zu können: ich bin hier aufgewachsen und kenn nur unser Hapiland. Ich weiß, dass der Palast nicht meine Heimat ist.«
    Karidon schloss die Augen und legte die Arme um Ihats Schultern; er küsste sie, strich über ihren langen Rücken und legte ausatmend den Kopf in den Nacken. Die dünnen Fäden der Gedanken flochten sich fast unmerklich zu einer Kordel; Ihats Worte schienen zu helfen, ein Stück des Weges zu weisen. Er flüsterte: »Ich danke dir, Shenet Ihat, dass du mit mir gesprochen hast; zusammen werden wir zusehen, wie das Gestirn Rê-Harachtes die Dünen vergoldet. Bis dahin ...«
    »... werden wir die Stunden – und einander genießen.« Sie kicherte, nahm den leeren Becher aus seinen Fingern und starrte in seine Augen. »Chakaura in seinem Per-Ao; er ahnt nicht einmal, was seine Schwester längst wusste.« Ihre Hände glitten über Karidons Haut. »Und was ich dir bis zum Morgengrauen zeigen werde.«

    Vom Ufer bis zu Chakauras halbfertigem Sehedhu-Grabmal führte neben der Rampe des Aufweges, zwischen Baumaterial und kümmerlichen Palmschößlingen, ein breiter Sandpfad, vielleicht sieben oder acht Chen-Nub lang. Karidon wandte sich um; Sokar-Nachtmins Schnellruderer drehte im schmalen Wasser und wich den Booten und Schiffen aus, die den Kanal hinunterglitten. Die Rampe war mit Flechtwerk, Tüchern, Blütenkränzen und Farbe geschmückt; das erste Schiff legte zwischen den Säulenfundamenten des Taltempels an. Nefer-Ihat zog Karidon an der Hand weiter.
    »Komm«, sagte sie. »Es dauert noch Stunden, bis sich alle versammelt haben.«
    Undeutlich waren Fetzen der Musik zu hören: dumpfe Trommelschläge, das Klirren der Rasseln und trillernde Flöten. Eine Menschenmenge säumte den Aufweg. In den Booten erkannten Nefer-Ihat und Karidon Mitglieder der Königsfamilie. Das

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