Der Buchdrucker der Medici - Eine Hommage an Michael Wagner
kostspielig und mühsam, aber wenig gefährlich. Welchen Wegelagerer interessiert schon der Inhalt von Fässern, die in seinen Augen Narren aus allen Himmelsrichtungen überland karren. Schon nach wenigen Minuten in der Buchgasse verfluchen die Ankömmlinge ihr Tun. Schweiß steht ihnen auf der Stirn, die Luft in den Arkaden ist zum Schneiden. Abertausende von ungebundenen Bögen harren in den Gewölbelagern der Abnehmer. Drucker, Buchhändler, Verleger und deren Angestellte hetzen von einem Gewölbe ins nächste, warten einander auf mit den kurrentesten Waren. Die Müdigkeit malt Ringe unter ihre Augen, vor allem die Wochen vor den Messen zehren an den Kräften, der Tag des Herren dauert da nur ein Vaterunser lang.
Georg Winkler ist gestorben. Kaum hat Wagner den Schock verarbeitet, hört er die Totenglocke abermals schlagen. Mit Hieronymus Paur verliert er nicht nur einen Kollegen, sondern auch einen Freund. Gemeinsam haben sie die Blütezeit Innsbrucks erlebt und Druckwerke erschaffen, die keinen Vergleich zu scheuen brauchen. Einmal arbeiteten sie sogar in Kompanie, stellten ihre Namen im Impressum nebeneinander. So sehr Wagner der Verlust des Freundes schmerzt, der Tod Paurs ebnet neue Wege. Da Hieronymus kinderlos stirbt, wird der Posten des Hofbuchdruckers frei. Sofort ist Wagner zur Stelle. Für eine Summe, deretwegen die eigene Offizin noch jahrzehntelang zu kämpfen hat, erwirbt er die Paur’sche Druckerei.
Mit dem neuen Amt ist ein jährliches Wartgeld von 120 Gulden verbunden. Dafür hat Wagner ohne weitere Entlohnung alle Druckaufträge der Regierung zu erfüllen. Das Wartgeld ist viel zu niedrig, Wagner schaut seine Frau Rat suchend an. Das Gejammer helfe nicht weiter, antwortet sie.
Drei Jahrzehnte lang hat er darauf hingearbeitet, Hofbuchdrucker zu werden und nun – Jeder Handgriff verursacht Schmerzen. Als nisteten unter der Haut Feuerherde, die sich schleichend im Körper ausbreiten. Steif sitzt Wagner bei Tisch. Rückt seine Frau allerdings mit Brennnesselstauden an, springt er ungeahnt geschmeidig auf. Allein der Anblick des Hausmittels ölt ihm die Gelenke.
Im Gewölbe stapeln sich die Druckbögen des zuletzt gesetzten Werks, ein Bericht über das Leben und den Tod der Rosa von Lima. Beim Andruck des Texts hatte Wagner die peruanische Mystikerin schätzen gelernt. Schon zu Lebzeiten galt sie als Legende und war bei der Bevölkerung sehr beliebt. Als sie im Alter von 31 Jahren starb, wollten so viele Menschen von ihr Abschied nehmen, dass die Beisetzung mehrmals verschoben werden musste. Herr, vermehre meine Leiden, aber auch meine Liebe, soll sie Gott oft angefleht haben.
Gelitten hat er genug. Und geliebt? Wagner schaut Maria an, seine Buchdruckerin, und weiß die Antwort.
Neben den Aufträgen für den Hof sind zwei neue Jesuitendramen zu drucken. Kaum noch verlässt Wagner die Offizin. Aber es mangelt ihm zunehmend an Konzentration, seine Gedanken schweifen ab. Viel muss er an seine Eltern und Geschwister denken. Auch Augsburg und Deubach vermisst er wieder mehr. Gerne würde er seinen Kindern das Schloss des Hans Wolf Zech zeigen. Was wird aus ihnen werden? Die jüngste Tochter ist elf, acht Jahre älter ihr Bruder Jakob Christoph. Der gerät stets mit der Barbischin in Streit, wünscht sie hinter den Arlberg zurück. Ehrgeizig ist er, spielt sich gern als Herr im Haus auf.
Wagner geht der Kabbelei aus dem Weg. Er mag den Lärm nicht ertragen, das Geschrei, die aufgeregten Gesten. Als er so alt war wie sein Sohn, verscharrte man in Augsburg die Pestleichen. Das Gewimmer der Trauernden war längst verstummt, man hatte mit dem Tod zu leben gelernt. Und doch hatte man vom Sterben zu wenig gewusst, Soldaten kamen, der vermaledeite Krieg. Er hatte es mit eigenen Augen gesehen: Augsburger Kirchen, die er von Kindheit an kannte, wurden abgerissen als lutherische Tempel der Häresie. Seinen Kollegen drohte man mit Sanktionen, stellte sie vor die Wahl, entweder die katholische Messe zu besuchen oder –
Er muss sich ranhalten. Die Jesuiten wollen Theater, sollen sie es haben. Die Dramen sind abzuliefern. Geschäft bleibt Geschäft. Mehrere Tage arbeitet Wagner ohne Unterlass. Ganz entfernt nimmt er wahr, dass Jacob Stainer in der Stadt für Gerede sorgt. Der Geigenbauer wurde verhaftet. Den Besitz „ketzerischer Bicher“ wirft man ihm vor.
Wasser, soweit das Auge reicht. Als wollte eine Sintflut über die Stadt kommen, strömt der Regen tage- und nächtelang. Aus den Seitentälern des Inn
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