Der Buddha aus der Vorstadt
ich, wer er war und wie er war, und führte anschließend vor, wie er wütend durch die Straßen lief. Ich hatte die Rolle in Eleanors Wohnung so oft geübt, daß ich problemlos in seine Gestalt schlüpfen konnte, und ich hielt meine Arbeit für so gut wie die der anderen in der Gruppe. Zum erstenmal hatte ich nicht das Gefühl, das Schlußlicht zu sein.
Nach der Teepause sprachen wir über unsere Rollen. Aus irgendeinem Grund, vielleicht weil sie etwas verwirrt aussah, fragte Pyke Tracey: »Warum erzählst du uns nicht, was du von Karims Rolle hältst?«
Tracey zauderte zwar manchmal, aber sie hatte immer eine sehr ausgeprägte eigene Meinung. Sie war gelassen und ernst, gar nicht so trendy wie viele der bourgeoisen Kids, die sich für Schauspieler hielten. Im besten vorstädtischen Sinne war Tracey ein anständiges Mädchen, ehrlich, freundlich und ohne Allüren, und sie zog sich an wie eine Sekretärin. Bestimmte Fragen jedoch machten ihr zu schaffen: Zum Beispiel dachte sie darüber nach, was es eigentlich bedeutete, eine schwarze Frau zu sein. Sie schien schüchtern zu sein, sich in der Welt nicht wohl zu fühlen, und machte alles, um aus einem Zimmer zu verschwinden, ohne es tatsächlich zu verlassen. Wenn ich sie jedoch auf einer Party sah, auf der nur Schwarze waren, dann benahm sie sich völlig anders, extrovertiert und leidenschaftlich, und erwies sich als wilde Tänzerin. Ihre Mutter, eine Putzfrau, hatte sie allein aufgezogen. Es war ein seltsamer Zufall, daß Traceys Mutter eines Morgens die Stufen eines Hauses ganz in der Nähe unseres Probenraums schrubbte, während wir im Park unsere Übungen machten. Pyke lud sie ein, sich während ihrer Mittagspause mit der Gruppe zu unterhalten.
Normalerweise sagte Tracey nicht viel, daher hörte die Gruppe zu, als sie begann, über meinen Anwar zu reden, hielt sich aber aus der Diskussion raus. Plötzlich war dies etwas, was die »Minderheiten« unter sich auszumachen hatten.
»Zwei Dinge, Karim«, sagte sie. »Anwars Hungerstreik gefällt mir nicht. Was du damit sagen willst, verletzt mich. Es tut mir wirklich weh! Und ich bin mir nicht sicher, ob wir das tatsächlich auf die Bühne bringen sollten!«
»Ehrlich?«
»Ja.« Sie redete mit mir, als ob ich nur ein wenig nachdenken müßte, um ihren Standpunkt begreifen zu können. »Es tut mir leid, aber du stellst Schwarze -«
»Inder -«
»Schwarze und Asiaten -«
»Einen alten Inder -«
»... so dar, als seien sie irrational, lächerlich und hysterisch. Und Fanatiker obendrein.«
»Fanatiker?« Ich appellierte an das hohe Gericht. Richter Pyke hörte aufmerksam zu. »Es geht hier nicht um einen fanatischen Hungerstreik, sondern um eiskalte Erpressung.« Doch Richter Pyke wankte Tracey zu, sie möge fortfahren. »Und diese arrangierte Heirat. Sie macht mir Sorgen, Karim, bei allem Respekt.«
Ich starrte sie an und sagte nichts. Sie war wirklich zutiefst betroffen.
»Erklär uns, warum du dir Sorgen machst«, sagte Eleanor mitfühlend.
»Ich weiß nicht einmal, wo ich anfangen soll. Dein Bild entspricht genau dem, was der Weiße bereits von uns hat. Wir sind lustig und haben seltsame Angewohnheiten und eigenartige Bräuche. Für den weißen Mann sind wir ein Volk ohne Menschlichkeit, und dann gehst du hin und zeigst Anwar, der wie verrückt die weißen Jungs mit seinem Stock bedroht. Ich kann es einfach nicht glauben. Du zeigst uns als Aggressoren und Störenfriede. Karim, wrarum haßt du eigentlich dich und das schwarze Volk?«
Während sie noch redete, blickte ich mich in der Gruppe um. Meine Eleanor sah skeptisch aus, doch es war offensichtlich, daß die anderen bereit waren, Tracey zuzustimmen. Es war nicht einfach, jemandem zu widersprechen, dessen Mutter man mit Eimer und Scheuerlappen vor einem Mittelklassehaus auf den Knien gesehen hatte.
»Wie kannst du nur so reaktionär sein?« sagte sie.
»Das klingt ja wie Zensur.«
»In Zeiten wie diesen müssen wir unsere Kultur schützen, Karim. Stimmst du dem nicht zu?«
»Nein. Die Wahrheit ist wichtiger.«
»Mein Gott, Wahrheit. Wer weiß schon, was Wahrheit ist? Welche Wahrheit? Du verteidigst die Wahrheit der Weißen. Worüber wir hier reden, das ist nur die weiße Wahrheit.«
Ich sah zu Richter Pyke, doch der ließ den Dingen gern seinen Lauf. Er hielt Konflikte für kreativ.
Endlich sagte er: »Karim, ich glaube, du mußt dir das noch einmal überlegen.«
»Aber ich weiß nicht, ob ich das kann.«
»Du kannst. Eng dich nicht unnötig
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