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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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und den ledernen Aktentaschen unterm Arm, diese lieben Kleinen, auf die Mummy und Daddy vor der Schule im Wagen warteten, um sie abzuholen. Wir waren härter; wir störten jede Schulstunde; wir waren Kämpfer; wir würden nie diese weibischen Aktentaschen mit uns herumtragen, weil wir sowieso keine Hausaufgaben machten. Wir waren stolz darauf, daß wir außer den Namen der Fußballstars, der Sänger von Rockbands und Texten wie »l am the Walrus« nichts lernten. Was waren wir für Idioten! Wir lagen so völlig daneben! Warum kapierten wir nicht, daß wir uns freudestrahlend selber dazu verdammten, nie etwas Besseres als Automechaniker zu sein? Warum hatten wir das nicht begriffen? Für die Typen aus Eleanors Clique lagen Fremdworte und kluge Ideen von Geburt an in der Luft, und ihre Sprache war die Währung, mit der man sich das Beste kaufen konnte, was die Welt zu bieten hatte. Doch für uns würde es immer nur eine Zweitsprache sein, eine, die man sich bewußt aneignete.
    Und statt Eleanor von der Zeit zu erzählen, als Pelzrückens dänische Dogge mich fickte, hörte ich ihren Geschichten zu, denn ihre Geschichten hatten Vorrang, sie spiegelten eine etablierte Welt wider. Fast war es, als wäre meine Vergangenheit nicht wichtig genug, als wäre sie nicht so bedeutsam wie Eleanors Vergangenheit, also hatte ich sie über Bord geworfen. Ich erzählte nie von Mum und Dad oder vom Leben in den Suburbs, aber ich erzählte von Charlie. Charlie war berühmt, er war jemand. Und völlig verstummte ich (die Worte blieben mir im Hals stecken), als Eleanor sagte, ich hätte einen so süßen Akzent.
    »Was für einen Akzent?« stammelte ich schließlich.
    »Na, wie du redest! Einfach super.«
    »Aber wie rede ich denn?«
    Sie sah mich ungeduldig an, als triebe ich irgendein lächerliches Spielchen mit ihr, doch dann begriff sie, daß ich es ernst meinte.
    »Du sprichst Straßen-Slang, Karim. Du kommst aus Südlondon, und so redest du auch. Klingt ein bißchen wie Cockney, nur nicht so hart. Nicht gerade unnormal. Aber es ist natürlich anders als meine Art zu sprechen.«
    Natürlich.
    In dieser Sekunde entschloß ich mich, meinen Akzent abzulegen: Was es auch war, es sollte verschwinden. Ich wollte reden wie Eleanor. Es konnte nicht so schwierig sein. Ich hatte meine eigene Welt verlassen, was ein notwendiger Schritt gewesen war, und ich wollte auch nicht zurück. Ich sehnte mich noch immer nach dem Abenteuer und dem Leben, das ich in jener Nacht vor mir gesehen hatte, als ich auf Evas Toilette in Beckenham meine Epiphanie erlebte. Doch mir war klargeworden, daß die Schwierigkeiten erst richtig anfingen.
    Nach dem Kuß, als ich in dem dunklen Zimmer stand und auf die Straße sah, wurden mir die Knie weich.
    »Eleanor, ich kann heute abend nicht nach Hause fahren«, sagte ich. »Ich glaube, meine Beine tragen mich nicht mehr.«
    Sie sagte sanft: »Ich kann heute nacht nicht mit dir schlafen, Baby, du hast keine Ahnung, wie durcheinander ich bin. Meine Gedanken sind ganz woanders, und mein Kopf ist voller Stimmen, voller Lieder und lauter dummem Zeugs. Außerdem bringe ich dich nur in Schwierigkeiten. Du weißt schon, warum, nicht wahr?«
    »Bitte, sag’s mir.«
    Sie drehte sich um. »Ein andermal. Oder frag irgend jemand. Ich bin sicher, Karim, daß man es dir gern erklären wird.«
    An der Tür gab sie mir einen Gutenachtkuß. Ich war nicht traurig. Ich wußte, ich würde sie jeden Tag sehen.
    Als wir die Vorbilder für unsere Rollen gefunden hatten, forderte Pyke uns auf, die gewählten Charaktere dem Rest der Gruppe vorzustellen. Eleanor spielte eine Engländerin, Anfang sechzig, aus der obersten Gesellschaftsschicht, die unter der britischen Herrschaft in Indien aufgewachsen war und sich selbst für einen Bestandteil dessen hielt, was Britanniens Größe ausmachte, die jedoch ebenso wie diese Größe verfiel und zu ihrer Bestürzung genau in der Zeit eine sexuelle Neugier in sich aufkommen spürte, als auch England dieses Thema für sich entdeckte. Eleanor war fantastisch. Wenn sie spielte, verlor sie ihre lockendrehende Unsicherheit und wurde ganz ruhig. Wie ein mit leiser Stimme sprechender Erzähler zog sie uns in ihren Bann und gab ihrer Rolle gerade genug satirischen Touch, um uns raten zu lassen, was sie selbst wohl von dieser alten Dame hielt.

    Mit allgemeinem Beifall und theatralischen Küßchen endete Eleanors Vorstellung. Jetzt war ich an der Reihe. Ich stand auf und spielte Anwar. In einem Monolog erzählte

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