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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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Heater?«
    »Sie hat den Hund«, sagte er. »Und jetzt verzieh dich, Kleiner.«
    »Was für einen Hund denn? Geh aus dem Weg, du Scheißer, ich muß mit ihr über geschäftliche Dinge reden.« »Den schwarzen Hund hat sie. Depression. Also heute besser nicht. Vielen Dank. Komm ein andermal wieder.«
    Doch für Heater war ich viel zu klein und zu flink. Ich wieselte unter seinen Schweißarmen durch, gab ihm einen Stoß ins Kreuz, war wie der Blitz in Eleanors Wohnung und schloß die Tür hinter mir.
    »Zieh Leine und feg mit deiner Zunge die Hundescheiße von der Straße, du proletarisches Arschloch!« schrie ich. Ich sah mich in der Wohnung um und erkannte sie auf den ersten Blick nicht wieder. Überall lagen Eleanors Kleider verstreut. Das Bügelbrett stand mitten im Zimmer, und Eleanor bügelte nackt einen Berg Klamotten. Während sie gegen das Eisen preßte, als wolle sie es durch das Brett drücken, weinte sie, und ihre Tränen fielen auf die Kleider. »Was ist los, Eleanor? Sag’s mir, bitte. Hat dein Agent schlechte Neuigkeiten für dich?«
    Ich ging zu ihr. Ihre trockenen Lippen bewegten sich, aber sie wollte nicht reden. Sie hörte nicht auf, mit dem Bügeleisen über denselben Hemdärmel zu fahren. Als sie aufblickte, spürte ich, daß sie sich mit dem Eisen am liebsten über die eigene Haut bügeln würde, über den Handrücken oder den Arm. Sie war halb wahnsinnig.
    Ich zog den Stecker des Bügeleisens heraus und legte ihr meine Lederjacke um die Schultern. Ich fragte sie noch einmal, was denn los sei, aber sie schüttelte nur den Kopf, und ihre Tränen tropften mir ins Gesicht. Ich gab es auf, dumme Fragen zu stellen und brachte sie ins Schlafzimmer. Sie legte sich hin und schloß die Augen. Ich hielt ihre Hand und saß da, sah auf die achtlos fortgeworfenen Kleider, die Schminksachen, das Haarspray und die Lackschächtelchen auf der Kommode, das Seidenkissen aus Thailand mit dem Bild eines Elefanten und die Bücherstapel auf dem Boden. Auf dem Tischchen neben dem Bett entdeckte ich in einem Goldrahmen die Fotografie eines Schwarzen. Er war um die Dreißig, trug einen dunklen Rollkragenpullover, kurze Haare und sah durchtrainiert und sehr gut aus. Ich nahm an, daß das Foto vor etwa fünf oder sechs Jahren aufgenommen worden war.
    Ich spürte, daß Eleanor mich bei sich haben wollte, daß ich nichts sagen, sondern einfach nur dasein sollte. Als sie einschlief, machte ich es mir also bequem und dachte ernsthaft über Changez nach. Eleanor konnte warten, im Moment gab es nichts, was ich hätte tun können.
    Wenn ich mich Changez widersetzen würde, wenn ich ihn zum Vorbild für meine Rolle machen würde, wenn ich dieses Arschloch benutzen würde, dann hieße das, daß man mir nicht vertrauen konnte, daß ich ein Lügner war. Wenn ich ihn dagegen nicht benutzte, hieße das, daß ich der Gruppe nach meinem Fiasko >Ich-als-Anwar< nichts anzubieten hatte. Beim Nachdenken wurde mir klar, daß ich zum erstenmal in meinem Leben in einem moralischen Dilemma steckte. Vorher hatte ich immer genau das getan, wozu ich Lust hatte; meine Wünsche waren die einzige Richtschnur meines Handelns gewesen, und außer meiner Angst hatte mich nichts zurückgehalten. Doch jetzt, mit Anfang zwanzig, wuchs etwas in mir. Gerade so wie mein Körper sich zu Beginn der Pubertät verändert hatte, entwickelte sich nun in mir ein Schuldgefühl, ein Gefühl nicht nur dafür, wie andere mich sahen, sondern auch dafür, wie ich selbst mich sah, besonders dann, wenn ich selbstgesetzte Verbote übertrat. Vielleicht würde niemand erkennen, daß meine Rolle auf Changez basierte; vielleicht würde es Changez später nichts mehr ausmachen, vielleicht fühlte er sich sogar geschmeichelt. Aber ich würde immer wissen, was ich getan hatte, daß ich mich entschlossen hatte, ein Lügner zu sein, einen Freund zu betrügen, jemand gegen seinen Willen zu benutzen. Was sollte ich tun? Ich hatte keine Ahnung. Wieder und wieder dachte ich darüber nach und konnte keinen Ausweg finden.
    Ich vergewisserte mich, daß Eleanor schlief, und dachte, ich könnte mich leise verdrücken, nach Hause fahren und Eva bitten, mir etwas Gemüse in der Pfanne zu braten. Ich brauchte eine Stärkung. Doch als ich aufstand, sah Eleanor zu mir herüber und lächelte sogar ein wenig.
    »Hey, schön daß du da bist.«
    »Aber ich wollte gerade gehen und dich schlafen lassen.« »Bleib hier, Liebling.«
    Sie klopfte auf das Bett. »Komm rein, Karim.« Ich war so froh, sie wieder

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