Der Buddha aus der Vorstadt
nicht besonders rasch, es erinnerte eher an einen Lastwagen, der in einer Sackgasse wenden mußte. Aber als Changez sein Wendemanöver von Ost nach West abgeschlossen hatte, sah er den Mann, der ihn nach England geholt hatte, zu Shinko, Karim, dem Feldbett und zu Harold Robbins, er sah seinen Schwiegervater, der mit erhobenem Stock die Straße hinunter auf ihn zu hastete und aus dessen Mund Flüche hervorbrachen wie wilde Hunde aus einem Zwinger. Changez begriff sofort, daß diese zähnefletschenden Hunde nicht bloße Warnungen oder eitle Drohgebärden waren. Nein, der enttäuschte Schwiegervater hatte die Absicht, seinem Schwiegersohn hier und jetzt eins über den Schädel zu ziehen - und ihn womöglich zu Tode zu knüppeln. Shinko bemerkte zu ihrer Überraschung, daß Changez völlig ruhig blieb. (Und dieser Augenblick war der Beginn ihrer Liebe zu ihm.)
Als Anwar seinen Stock auf ihn niedersausen ließ, rollte sich Changez im letzten Moment zur Seite, zog den knotigen Dildo aus der Tütenscheide, stieß einen moslemischen Kriegsschrei aus - wenigstens behauptete Shinko, daß es ein moslemischer Schrei gewesen war, aber was wußte sie schon davon? - und knallte meinem Onkel den Liebesknüppel gekonnt über den Schädel. Das hätte sich mein Onkel in all den Jahren nicht träumen lassen. Seit er aus Indien zur Old Kent Road übergesiedelt war, um bei einem Zahnarzt zu wohnen, zu wetten und zu spielen, mit dem Ziel, sein Glück zu machen und zurückzukehren, um sich am Juhu-Strand ein Haus wie das Haus meines Großvaters zu bauen: daß ihn jetzt, gegen Ende seines Lebens, ein Plastikpenis bewußtlos schlagen würde. Kein Wahrsager hatte ihm das vorausgesagt. Kipling schrieb »jedem seine eigene Angst«, aber dies war nie Anwars Angst gewesen.
Stöhnend brach Anwar auf dem Gehweg zusammen. Shinko rannte zur nächsten Telephonzelle, die drei Jungen gerade frisch bepinkelt hatten, und rief einen Krankenwagen. Später wurde Changez von der Polizei verhört und »Scheiß-Immigrant« »Paki«, »Abschaum«, »Nigger«, »Dreckskerl«, und »Mörder« genannt, während die Tatwaffe als eine Art aide memoire vor ihm auf dem Tisch lag. Changez wollte zuerst einer plötzlichen Eingebung folgen und behaupten, daß er unschuldig sei, daß ihm der Dildo von der Polizei untergeschoben worden sei, da Changez wußte, daß solche Verbrechen nicht gerade selten waren. Aber selbst er war so schlau, einem englischen Gericht aus lauter Weißen lieber gar nicht erst einreden zu wollen, daß Wachtmeister McCrum ein großes, rosafarbenes Sexspielzeug in die Tasche des Angeklagten geschmuggelt hatte. Changez wurde unter Verdacht auf tätlichen Angriff festgehalten.
Mit einer Binde um den Kopf, die ihn wie den sterbenden Trotzki aussehen ließ, lag Anwar eine Woche lang auf der Intensivstation. Er hatte einen Herzinfarkt gehabt. Jamila und ich und manchmal sogar Prinzessin Jeeta saßen an seinem Bett. Doch Jeeta konnte ziemlich grausam sein. »Warum soll ich denn zu diesem schwarzen Teufel fahren?« fragte sie eines Abends, als wir im Bus saßen und auf dem Weg zum Krankenhaus waren.
Ich weiß nicht warum, aber Dad wollte Anwar auf keinen Fall besuchen. Vielleicht sah ich Dads Vergangenheit in einem sentimentaleren Licht als er selbst, jedenfalls wollte ich die beiden Männer wieder vereint sehen. »Bitte, geh ins Krankenhaus«, sagte ich. »Warum?« antwortete Dad etwas geziert. »Ich will doch nicht depressiv werden.«
Dad hatte sich ernsthaft mit Anwar entzweit. Sie sprachen kein Wort mehr miteinander. Anwar meinte, Dad hätte Mum nie verlassen dürfen. Es sei schändlich, sich so zu verhalten. Nimm dir eine Geliebte, hatte er gesagt, und behandle beide Frauen gleich gut, aber verlasse niemals deine Frau. Anwar beharrte darauf, daß Eva eine unmoralische Frau und Dad vom Westen verführt worden sei; er sei so dekadent und tugendlos wie der Rest der Gesellschaft geworden. Dad hörte sich doch sogar Popmusik an, oder etwa nicht? »Es dauert nicht mehr lange, und er ißt auch noch Schweinefleisch«, sagte Anwar. Dad tobte, wenn er so etwas hörte. Den Vorwurf der Dekadenz und Korruption akzeptierte er durchaus - er führte seit einiger Zeit ständig das Wort »unmoralisch« im Munde -, bloß bezog er ihn nicht auf sich selbst.
Nur Eva hätte Dad überreden können, Anwar zu besuchen, aber sie war kaum zu Hause. Eva arbeitete ununterbrochen. Die beiden waren ein fantastisches Paar und ergänzten sich hervorragend, denn Dad mit seiner
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